Justitia schaltet sich in den Ukraine-Krieg ein

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Seit fast einer Woche dauern die Angriffe Russlands auf ukrainische Städte an. Dabei sparen die russischen Truppen nach ukrainischen Angaben auch zivile Gebiete nicht aus. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach nach Attacken auf das Zentrum der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw von Verstößen „gegen das Kriegsrecht“, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj prangerte „Kriegsverbrechen“ an. Es stellt sich die Frage, inwiefern Russland für seine Taten vor internationalen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden kann.

Hat Russland gegen das Völkerrecht verstoßen?

Ja. Russland habe gegen Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta verstoßen, der die Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen verbietet, sagt Geoff Gordon vom Asser Institut für Internationales und Europäisches Recht in Den Haag. Auch der britische Völkerrechtsprofessor Philippe Sands erklärt, Russlands Präsident Wladimir Putin habe „die wichtigsten Verpflichtungen“ der UN-Charta „in Stücke gerissen“.

Welche Gerichte können sich mit dem Krieg in der Ukraine befassen?

Kiew hat den Internationalen Gerichtshof (IGH), der für Streitigkeiten zwischen Staaten zuständig ist, in Den Haag angerufen und Russland die Planung eines Völkermords in der Ukraine vorgeworfen.

Gordon zufolge könnten sich auch nationale Gerichte mit Verstößen gegen das Völkerrecht befassen. Außerdem könnte Russland wegen Menschenrechtsverletzungen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht werden.

Auch der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, hat angekündigt, eine Untersuchung zur Lage in der Ukraine einzuleiten. Es gebe „ausreichende Hinweise auf mutmaßliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in der Ukraine seit der Annexion der Krim-Halbinsel durch Russland 2014, erklärte er.

Können einzelne Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden?

Ja. Der IStGH kann einzelne Verantwortliche unter anderem wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft ziehen. Die Ukraine ist dem Gerichtshof zwar nicht beigetreten, hatte jedoch 2014 seine Gerichtsbarkeit anerkannt.

Russland ist allerdings ebenfalls kein Mitglied. Der IStGH könnte Russen deshalb nur zur Verantwortung ziehen, wenn sie auf dem Gebiet eines Staates festgenommen werden, der die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkennt.

Das Verbrechen der Aggression – der von einem militärischen oder politischen Anführer geplante Angriff auf einen anderen Staat – kann der IStGH jedoch nur ahnden, wenn das betreffende Land das Römische Statut, die rechtliche Grundlage des Gerichtshofs, ratifiziert hat. Weder Russland noch die Ukraine haben dies getan.

Sands spricht sich deshalb für die Einrichtung eines eigenen internationalen Straftribunals aus, das sich mit den russischen Verbrechen der Aggression befassen könnte.

Wie geht es weiter?

Der IGH wird Anfang nächster Woche zu Anhörungen über mögliche russische Menschenrechtsverbrechen in der Ukraine zusammenkommen. Auch die Richter des IStGH werden sich mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine befassen.

Sollten sie zu dem Schluss kommen, dass das Gericht zuständig ist und ausreichend Beweise vorliegen, könnte offiziell ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Beschleunigt werden könnte das Verfahren vor dem IStGH, wenn ein Vertragsstaat einen entsprechenden Antrag bei Gericht stellt.

Welche Folgen könnte ein Verfahren haben?

Diese Frage ist Experten zufolge schwer zu beantworten. Die Entscheidungen des IGH sind zwar endgültig und können nicht angefochten werden. Allerdings „fehlt ihm ein klassischer Durchsetzungsmechanismus, um seinen Urteilen Wirksamkeit zu verleihen“, sagt Gordon mit Blick auf den Gerichtshof. Auch der IStGH verfügt über keine eigenen Vollstreckungsbeamten und ist bei Festnahmen auf seine Vertragsstaaten angewiesen.

Gordon verweist jedoch auf eine ganze Reihe „mehr oder weniger koordinierter Mechanismen, die darauf abzielen, Russland für das Führen eines illegalen Krieges zu bestrafen“. Als Beispiel nennt er Wirtschaftssanktionen, Reisebeschränkungen und die Absage von Sportveranstaltungen.

„Ein Urteil des IGH könnte in Zukunft bei solchen Aktionen eine Rolle spielen“, sagt Gordon. Die Rechtsprechung könnte demnach zur weiteren Legitimierung solcher Strafmaßnahmen herangezogen werden.

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