Der russische Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja hat Angst vor einer Reaktorkatastrophe in Europa ausgelöst. Nach Angaben der ukrainischen Behörden und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wurden keine systemrelevanten Anlagenteile getroffen, die nukleare Sicherheit sei nicht beeinträchtigt und es sei keine Radioaktivität freigesetzt worden. Der durch den Beschuss ausgelöste Brand betraf demnach ein Schulungsgebäude außerhalb des Schutzraums um das Kraftwerk und wurde später gelöscht. Inzwischen besetzten russische Truppen das Akw-Gelände. Ein Überblick über die Anlage:
DAS ATOMKRAFTWERK
Das Kraftwerk liegt im Süden der Ukraine am Fluss Dnjepr, etwa 200 Kilometer von der Halbinsel Krim entfernt. Mit einer Gesamtkapazität von fast 6000 Megawatt ist es das größte Atomkraftwerk in Europa und kann etwa vier Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Unter normalen Umständen liefert Saporischschja ein Fünftel des ukrainischen Stroms und fast die Hälfte der Kernenergie des Landes.
Der Bau des ersten Reaktors begann 1979, als die Ukraine noch Teil der Sowjetunion war. 1985 ging das Atomkraftwerk ans Netz und verfügt heute über sechs Reaktoren vom Typ WWER 1000, von denen der letzte 1995 in Betrieb genommen wurde. Diese Reaktoren haben eine Lebensdauer von 40 bis 60 Jahren, mit fortschreitender Technologie auch länger.
DIE REAKTOREN
Bei den Reaktoren in Saporischschja handelt es sich um Druckwasserreaktoren, die als besonders sicher gelten. Die ursprüngliche Konstruktion wurde aus einem U-Boot-Reaktor entwickelt und unterscheidet sich stark von dem havarierten graphitmoderierten Reaktor in Tschernobyl, der ursprünglich gar nicht für die Stromerzeugung konzipiert war, sondern für die Produktion von Plutonium.
Die Reaktoren in Saporischschja arbeiten mit zwei getrennten Wasserkreisläufen. Im Gegensatz zu anderen Reaktoren wird der nuklear kontaminierte Dampf nicht direkt zum Antrieb der Turbinen verwendet, sondern zum Erhitzen des zweiten Kreislaufs mit nicht kontaminiertem Dampf, der dann die Turbinen antreibt. Durch diese Technik wird die radioaktive Belastung für die Angestellten im Kraftwerks vergleichsweise niedrig gehalten.
DIE STRAHLENBELASTUNG
Der ukrainischen Atomaufsicht zufolge gab es nach dem Brand auf dem Akw-Gelände keine Veränderungen bei der radioaktiven Strahlenbelastung. Die Hintergrundstrahlung in der Umgebung des Kraftwerks betrug am Freitagmorgen nach Angaben des Betreibers 0,1 Mikrosievert pro Stunde. Das ist weniger als der weltweite Durchschnitt der Hintergrundstrahlung und weit geringer als die Strahlenbelastung durch einen Flug oder eine Röntgenuntersuchung. Während der Katastrophe von Tschernobyl 1986 war die Radioaktivität mit 300 Sievert pro Stunde millionenfach höher.
DIE SICHERHEITSVORKEHRUNGEN
Nach den russischen Angriffen auf die Ukraine 2014 entwickelte Kiew Sicherheitsprotokolle zum Schutz der Atomanlagen. Sie sehen unter anderem regelmäßige Inspektionen, die Bewertung von Schwachstellen sowie ein automatisiertes Datenkontrollsystemen vor. Auch die Luftabwehr über Saporischschja wurde verstärkt.