Mit einer Großrazzia in elf Bundesländern sind Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesanwaltschaft am Mittwoch gegen militante Neonazi-Netzwerke vorgegangen. Mehr als 800 Polizeibeamte von BKA, GSG 9 und den Landeskriminalämtern sowie weitere Einsatzhundertschaften durchsuchten 61 Wohnungen und andere Räumlichkeiten im Zusammenhang mit 50 Verdächtigen, wie die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mitteilte. Vier Männer wurden festgenommen – drei im thüringischen Eisenach, einer im hessischen Rotenburg an der Fulda.
Der festgenommene Leon R. aus Eisenach spielt offenbar eine zentrale Rolle bei den Ermittlungen. Er soll die rechtsextreme Kampfsportgruppe „Knockout 51“ gegründet haben und anführen. Diese Gruppe locke „unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings junge, nationalistisch gesinnte Männer an“, erklärte die Bundesanwaltschaft. Sie würden „bewusst mit rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe“ ausgebildet.
Die Gruppe soll versucht haben, in Eisenach einen „Nazi-Kiez“ zu etablieren und dort die Ordnungsmacht zu werden. Seit etwa einem Jahr habe sie „Kiezstreifen“ unternommen, wobei es auch um die gezielte Provokation von Gewalt und aktiven Kampf gegen politische Gegner gegangen sei. Die Verdächtigen hätten mehrmals andere Menschen teils schwer verletzt. Die drei neben R. festgenommenen Beschuldigten Maximilian A., Eric K. und Bastian A. sollen führende Rollen in der Gruppe ausfüllen.
Die Vereinigung sei auf die Begehung von „erheblichen“ Straftaten ausgerichtet, formulierte die Bundesanwaltschaft. Menschen aus dem politisch linken Spektrum, aber auch Polizisten und andere sollten verletzt werden. Für Angriffe auf „Linke“ sei auch der Einsatz von Hieb- und Stichwaffen vorgesehen. Die Trainings fänden in den Räumen der – ebenfalls durchsuchten – Landesgeschäftsstelle der NPD in Eisenach statt.
„Knockout 51“ sei mit anderen Rechtsextremen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg vernetzt, hieß es weiter. Die Gruppe habe sich auch mehrmals an Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen beteiligt, unter anderem in Leipzig und Kassel. Dort sei es zu gewalttätigen Zusammenstößen mit Polizeikräften und Gegendemonstranten gekommen. Im November habe Leon R. zum Schein die Auflösung der Vereinigung verkündet. Seitdem würden Anwärter auf sein Geheiß in die Jugendorganisation der NPD eintreten.
Neben „Knockout 51“ ging es um drei weitere Gruppierungen, die teils miteinander zusammenhängen sollen. 21 Beschuldigte sollen die verbotene Gruppe „Combat 18“ weitergeführt haben. Andere – darunter Leon R. – sollen Mitglieder der rechtsextremen „Atomwaffen Division Deutschland“ (AWDD) mit Ursprung in den USA oder des „Sonderkommandos 1418“ (SKD 1418) gewesen sein. Ziel dieser Chatgruppe sei es gewesen, „Anhänger für terroristische Anschläge zum ‚Rassenkrieg‘ und zur Zerstörung bestehender demokratischer Systeme unter Ersetzung durch ein neofaschistisches System zu gewinnen“, erklärte die Behörde in Karlsruhe.
Aufgrund von Erkenntnissen des Verfassungsschutzes habe der Generalbundesanwalt im September 2019 damit begonnen, gegen mutmaßliche Mitglieder der AWDD und des SKD 1418 zu ermitteln. R. sei einer der Beschuldigten gewesen. Seine Kontakte hätten wiederum zu Ermittlungen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Verbot von „Combat 18“ geführt. Die Gruppe war im Januar 2020 vom Bundesinnenministerium verboten worden, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte und „dem Nationalsozialismus wesensverwandt“ sei.
Die Festgenommenen sollen am Mittwoch und Donnerstag dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt werden, der über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheidet. Neben der Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung wird ihnen gefährliche Körperverletzung vorgeworfen, Leon R. auch Landfriedensbruch. Die übrigen drei werden zudem des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verdächtigt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dankte den Sicherheitsbehörden für einen „harten Schlag gegen die rechtsextremistische und rechtsterroristische Szene“. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sprach von einer guten Nachricht für sein Bundesland und einer guten „Bilanz für unsere Demokratie“.
„Der Staat muss solche Umtriebe schon bei dem geringsten Verdacht stoppen“, erklärte der innenpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU). Die Amadeu-Antonio-Stiftung teilte mit, die Behörden reagierten „endlich auf die lange bestehende Verbindung zwischen Online-Rechtsterrorismus und militanten Neonazi-Strukturen“.