Der Zenit scheint überschritten. Drei Mal hat die Rechtspopulistin Marine Le Pen versucht, die erste Präsidentin Frankreichs zu werden. Nie war sie näher an der Macht als an diesem Wochenende – bis die ersten Hochrechnungen ihre Hoffnung zunichte machten und weite Kreise in Frankreich und Europa aufatmen ließen.
Am Wahlabend sprach die 53-Jährige dennoch von einem „durchschlagenden Sieg“, da sie gegen Macron deutlich besser abgeschnitten hatte als 2017 – und gab sich gewohnt kämpferisch: Sie werde ihre Politik fortsetzen und „den Kampf weiterführen“, für die Franzosen und für Frankreich.
Dabei war Marine die einzige der drei Töchter ihres rechtsextremistischen Vaters und Parteigründers Jean-Marie Le Pen, die ursprünglich gar nicht in die Politik gehen wollte. Es war eine Rebellion gegen den Vater, um dessen Anerkennung sie zugleich buhlte – ein kompliziertes Verhältnis, das ihre gesamte Karriere geprägt hat.
Marine Le Pen war in vieler Hinsicht ein gebranntes Kind. Mit acht Jahren erlebte sie einen Sprengstoff-Anschlag auf ihren Vater, der die Fassade ihres Wohnhauses einstürzen ließ. Ein Trauma, das sie härter machte, wie sie selbst sagt. Auch der öffentlich ausgetragene Scheidungskrieg ihrer Eltern und ihre Zeit als alleinerziehende Mutter dreier Kleinkinder hätten dazu beigetragen.
Bei den Le Pens waren Politik und Privatleben immer eng verwoben. Die Familie zog bald nach dem Anschlag in eine pompöse Villa im Pariser Vorort Saint-Cloud, die ein Parteifreund ihrem Vater vererbt hatte. Ihr zweiter Ehemann und ihr langjähriger Partner Louis Aliot waren beide Parteifunktionäre.
Seit Le Pen 2011 die Führung der Partei übernommen hat, war sie auf Erfolgskurs. Sie distanzierte sich von ihrem antisemitisch-provokanten Vater, zog aus der Residenz in Saint-Cloud aus, nachdem der Dobermann von Jean-Marie Le Pen eine ihrer Katzen getötet hatte, und schloss ihren Vater 2015 aus der Partei aus – ein klassischer politischer Vatermord.
2012 trat sie zum ersten Mal zur Präsidentschaftswahl an und erreichte ein besseres Ergebnis als ihr Vater, der zehn Jahre zuvor überraschend in die Stichwahl gekommen war. Im Wahlkampf 2017 ließ sie sich vom russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml empfangen. Eine russisch-tschechische Bank hatte ihr zudem einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro eingeräumt – was Macron ihr im Wahlkampf immer wieder vorgeworfen hat.
Dass sie ähnlich aggressiv auftreten kann wie ihr Vater, hat sie oft bewiesen. Einst verglich sie Gebete von Muslimen auf der Straße mit der Besatzung von Paris durch die Nazis. Doch seit der Wahl 2017, vor der Macron sie in einer TV-Debatte locker an die Wand spielte, hatte sie stark an sich gearbeitet. Im Fernsehduell vor der Stichwahl war sie wesentlich gelassener aufgetreten.
Im jüngsten Wahlkampf zeigte sie sich vor allem nah an den – überwiegend finanziellen – Alltagssorgen der Bürger. Damit hob sie sich von Macron ab, der zwischen all seinen Putin-Telefonaten zunächst kaum Zeit für gewöhnliche Wahlkampftermine hatte.
Auch wenn sie vor allem mit großzügigen und unrealistischen Wahlversprechen von sich reden machte, war ihr Programm ebenso europa-, fremden- und verfassungsfeindlich wie zuvor. Sie wollte unter anderem die Verfassung ändern, um Franzosen Vorrang bei Wohnungen und Jobs einzuräumen und in großem Stil Ausländer abzuschieben.
Privat lebt Marine Le Pen seit einigen Jahren mit einer Freundin aus der Kindheit und einem halben Dutzend Katzen zusammen, die sie immer wieder gezielt zur Imagepflege einsetzt. Während des Lockdowns hatte Le Pen sogar Diplom als Katzenzüchterin erworben. Falls die gelernte Anwältin sich aus der Politik zurückziehen sollte, hätte sie verschiedene berufliche Optionen.