Die Absage von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an eine Strukturreform der Bundeswehr wird von Experten scharf kritisiert. „Es gibt zu viele Stäbe, Kommandos, Behörden und viel zu wenig Truppe“, sagte der Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels der „Welt“ (Freitagausgabe). „Nach dem verschenkten Jahr mit Christine Lambrecht muss er nun liefern, er muss verlorene Zeit aufholen.“
Mit den dysfunktionalen Strukturen der auf Afghanistan optimierten Bundeswehr werde Bündnisverteidigung nicht funktionieren, insbesondere bei den Landstreitkräften nicht. Die Strukturreform sei „eigentlich seit dem ersten Ukraine-Krieg 2014“ überfällig. Pistorius hatte am Mittwochabend im Rahmen einer Veranstaltung an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik gesagt, dass es noch Veränderungen geben werde in der nächsten Zeit, „aber keine grundlegenden“.
Er habe lange Jahre Erfahrung in Verwaltung wie Politik und glaube deshalb, „dass jede Umorganisation nur so gut ist wie die Zeit, in der sie begonnen wurde“, so der SPD-Politiker. „Wir haben wahnsinnig viel am Hals. Jetzt in voller Fahrt, die wir gerade aufnehmen, an dem Schiff rumzubauen, neue Segel aufzuziehen und den Käpt`n zu wechseln, ist keine gute Idee.“
Das „Eckpunktepapier für eine Bundeswehr der Zukunft“, das 2021 in der Amtszeit von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vorgelegt worden war und unter anderem eine Verschlankung der Strukturen auf die vier Dimensionen Land, Luft-/Weltraum, See sowie Cyber- und Informationsraum vorsah – die Organisationsbereiche Streitkräftebasis und Sanität sollten darin aufgehen – werde er ebenso wie eine weitere Bestandsaufnahme seiner Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) nur „als Steinbruch für Ideen“ nutzen, sagte Pistorius. Er glaubt, allein durch einen Umbau des Ministeriums und Prozessoptimierungen „den Beschleunigungs- und Vereinfachungseffekt zu erreichen, den wir brauchen, um besser und schneller zu werden“. Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam, verweist auf die hohe Zustimmung für Pistorius in den Umfragen und zieht daraus die Schlussfolgerung, dass ihm am ehesten eine „Kraftanstrengung zur Modernisierung des Landes“ zugetraut werde.
„Doch im Verteidigungsministerium fällt die große Reform aus“, sagte Neitzel der „Welt“. „Die Hoffnung auf den großen Wurf kann man begraben – und damit auch die verwegene Hoffnung, dass die Verschlankung der Bundeswehr ein weithin sichtbares Beispiel sein könnte, dass dieses Land reformfähig ist.“ Das Eckpunktepapier von 2021 sei „eine Leitlinie für tiefgreifende und notwendige Veränderungen in den Strukturen der Bundeswehr“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), der „Welt“.
Pistorius aber sei nun „im Reigen der Verzögerer“ angekommen, er agiere zunehmend ambitionslos und ohne Gestaltungswillen, so Hahn. „Die Bundeswehr braucht in dieser sicherheitspolitisch veränderten Lage tiefgreifende Entscheidungen und keine Kosmetik. Alles deutet auf ein weiteres Verwalten statt Gestalten hin – das ist keine Stärkung der Truppe im Sinne einer erhöhten Verteidigungsfähigkeit oder einer Führungsrolle Deutschlands.“