Noch vor einigen Monaten schien ein Nato-Betritt Finnlands undenkbar, angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rückt eine Mitgliedschaft in dem Militärbündnis nun immer näher: Noch im Sommer will das EU-Land darüber entscheiden, ob es sich der westlichen Militärallianz anschließt. Das nordische Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern ist traditionell militärisch bündnisfrei, auch um seinen Nachbarn Russland nicht zu provozieren, mit dem es eine gut 1300 Kilometer lange Grenze teilt. Doch seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar hat sich die Stimmung gedreht.
Die Zustimmung für einen Nato-Betritt verdoppelte sich laut Umfragen seit Kriegsbeginn von 30 auf 60 Prozent. Voraussichtlich am Donnerstag soll dem Parlament in Vorbereitung auf eine Abstimmung über einen Nato-Mitgliedsantrag ein von der Regierung in Auftrag gegebener Bericht über die nationale Sicherheit vorgelegt werden.
„Unterschätzen Sie niemals die Fähigkeit der Finnen, schnelle Entscheidungen zu treffen, wenn sich die Welt verändert“, sagt der frühere finnische Ministerpräsident Alexander Stubb. Er geht davon aus, dass ein Nato-Beitrittsantrag angesichts der neuen Bedrohungslage „eine ausgemachte Sache“ ist.
„Wir werden sehr sorgfältige Diskussionen führen, aber wir werden uns nicht mehr Zeit lassen als nötig“, kündigte ihrerseits Regierungschefin Sanna Marin an. Vor Ende Juni werde eine Entscheidung fallen. Ex-Ministerpräsident Stubb rechnet damit, dass der Beitrittsantrag noch im Mai eingereicht wird, rechtzeitig vor dem Nato-Gipfel Ende Juni in Madrid.
Finnland hatte 1917 seine Unabhängigkeit von Russland erklärt. Während des Zweiten Weltkriegs wehrte die zahlenmäßig weit unterlegene finnische Armee eine Invasion der sowjetischen Truppen ab und fügte der Roten Armee schwere Verluste zu. Die Kämpfe endeten mit einem Friedensabkommen, infolge dessen Finnland mehrere Grenzgebiete an die Sowjetunion abtreten musste.
Die finnische Regierung erklärte sich während des Kalten Krieges bereit, neutral zu bleiben und erhielt im Gegenzug von Moskau Garantien, dass es nicht einmarschieren würde. Die erzwungene Neutralität des Landes, die darauf abzielte, den stärkeren Nachbarn zu besänftigen, prägte den Begriff „Finnlandisierung“.
Als Nicht-Nato-Land konzentrierte sich Finnland nach dem Kalten Krieg auf den Ausbau seiner Verteidigungsfähigkeiten. In der vergangenen Woche beschloss die Regierung eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 40 Prozent bis zum Jahr 2026. „Wir sind in der Lage, 280.000 bis 300.000 Männer und Frauen innerhalb weniger Tage zu mobilisieren“, sagt Ex-Regierungschef Stubb. Zudem könnten 900.000 Reservisten einberufen werden.
Im finnischen Parlament zeichnet sich eine Mehrheit für einen Nato-Beitritt ab. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe „etwas in Europa verändert, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann“, sagt Joonas Könttä, Abgeordneter der Zentrumspartei. Wie viele seiner Parlamentskollegen hat auch er seine Meinung zur „Nato-Frage“ inzwischen geändert und befürwortet einen Beitritt zu dem Militärbündnis. Nur sechs der 200 finnischen Abgeordneten äußerten in einer aktuellen Umfrage des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders Yle Vorbehalte gegen die Nato.
Ebenso wie Schweden hat Finnland von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Zusicherung erhalten, dass die Tür des Bündnisses weiterhin offen steht. Zahlreiche Mitgliedstaaten wie die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die Türkei bekundeten ihre Unterstützung. „Welche Entscheidung Finnland auch immer fällt: Ihr könnt euch sicher sein über deutschen Rückhalt“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich bei einem Besuch in Helsinki zur Diskussion über einen Nato-Betritt.
Vom Kreml dürfte ein finnischer Antrag auf Nato-Mitgliedschaft als Provokation aufgefasst werden. Russland stuft die Ausdehnung des von den USA angeführten Bündnisses als Sicherheitsbedrohung ein. Den von der Ukraine angestrebten Nato-Beitritt hatte Russland als einen der Hauptgründe für die Invasion im Nachbarland angeführt.
Laut dem finnischen Außenminister Pekka Haavisto würde ein Beitrittsprozess vier bis zwölf Monate dauern. In dieser Zeit könne es zu Destabilisierungsversuchen Russlands kommen, warnt er. Experten verweisen darauf, dass Moskau in der Vergangenheit Finnland und Schweden regelmäßig mit „ernsten politischen und militärischen Konsequenzen“ im Falle eines Nato-Beitritts drohte. Und der finnische Präsident Sauli Niinistö räumte Ende März ein, dass ein Antrag seines Landes auf Nato-Mitgliedschaft „ungestüme“ Antworten aus Russland hervorrufen könnte.