Die französische Regierung hat immer gesagt, dass die Schulen offen bleiben. Aber niemand hat gesagt, ob auch Lehrer und Schüler drin sein sollen.“ So fasste ein genervter Vater kürzlich die Lage an den Schulen auf Twitter zusammen. Am Donnerstag entlud sich der Ärger vieler Lehrer und Eltern über immer neue und unrealistische Corona-Regeln in einem der größten Schulproteste, die Frankreich in den vergangenen Jahren erlebt hat.
„Blanquer in Quarantäne“, war auf Plakaten von Demonstranten zu lesen, gerichtet an den derzeit viel kritisierten Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. Mehrere Oppositionspolitiker riefen zu seiner Absetzung auf.
Seit dem Ende der Weihnachtsferien zieht das Coronavirus nahezu ungehindert durch Frankreichs Schulen. Und die Regierung reagiert darauf nach Ansicht vieler Kritiker mit einer Mischung aus Nonchalance und Inkompetenz.
„Ich verstehe die Verzweiflung der Lehrer“, sagte Carine, Mutter eines Schulkindes in Paris. „Ständig ändern sich die Vorschriften, und doch bekommen sie nicht, was sie brauchen, um sich und die Schüler vor dem Virus zu schützen“, fügte sie hinzu.
„Uns geht es in erster Linie darum, dass die Schulen offen bleiben“, sagt hingegen Bildungsminister Blanquer, der oft betont, dass die Schulen bei der Verbreitung des Virus keine besondere Rolle spielten. Er weist auch immer wieder darauf hin, dass Frankreich das Land ist, das seit Beginn der Pandemie die Schulen am wenigsten geschlossen hatte.
Im Unterschied zu Deutschland werden Schüler in Frankreich allerdings nicht großflächig und regelmäßig getestet. Über den Einsatz von Luftfiltern in den Klassen wird nicht einmal öffentlich diskutiert. Und auf eine Ausstattung mit FFP2-Masken warten Lehrer bislang vergeblich.
Dafür haben sich seit Jahresbeginn die Vorschriften für die Schulen schon drei Mal geändert. Was dabei besonders schlecht ankam: Am letzten Ferientag hatte Blanquer die neuen Regeln in einem Zeitungsinterview hinter einer Bezahlschranke verkündet – noch bevor die Schulen informiert wurden.
Frankreich verzichtet seitdem darauf, Klassen zu schließen, selbst wenn es mehrere positive Fälle unter den Schülern gibt. Das Risiko, in einer Schulklasse mindestens einen Infektionsfall zu haben, liegt derzeit bei mehr als 40 Prozent.
In den vergangenen Tagen mussten Eltern ihre Kinder bei einem Covid-Fall in der Klasse umgehend abholen und in einer Apotheke testen lassen. Das Ergebnis: Riesige Warteschlangen vor den Apotheken, in vielen von ihnen gingen die Tests aus.
Medienberichten zufolge standen im Bildungsministerium die Telefone nicht mehr still, so viele Beschwerden gab es. Auch der Vorsitzende der Nationalversammlung, Richard Ferrand, der selbst infiziert war, soll sich beschwert haben, dass es sehr schwierig sei, Termine für einen PCR-Test oder Selbsttests zu bekommen.
Das Problem der langen Schlangen hatte Premierminister Jean Castex flott gelöst: Schüler müssen derzeit nur noch Selbsttests zu Hause machen, wenn ein Klassenkamerad positiv ist.
„Ich denke, es gibt ein Risiko, weil viele Eltern ihre Kinder in die Schule zurückschicken wollen, damit sie arbeiten gehen können“, meint Franck Mezrahi, Vater eines Schulkindes in Paris. „Die Frage ist, ob die Eltern ihre Kinder zu Hause tatsächlich testen“, meint auch Coline Berger, die Mutter eines Schulkindes.
Schulleiter verbringen derzeit einen großen Teil ihrer Zeit damit, Testergebnisse einzusammeln und Vertretungen zu organisieren, weil immer mehr Lehrer wegen Covid-19 in Quarantäne müssen.
Was in Frankreich noch schlechter funktioniert als in Deutschland, ist der digitale Unterricht. Wo viele Lehrer noch immer über ein Korrespondenzheft handschriftlich mit Eltern kommunizieren, ist die Bereitschaft zu Video-Unterricht nicht sonderlich ausgeprägt. Stattdessen gibt es dann Arbeitszettel, die die Kinder unter der Aufsicht ihrer Eltern ausfüllen sollen. Da passt es ja, dass viele Eltern derzeit ohnehin im Homeoffice sind.