Für Joe Biden dürfte es höchstens ein schwacher Trost sein: Sein Vorgänger Donald Trump hatte nach seinem ersten Jahr als US-Präsident noch schlechtere Umfragewerte als er. Doch ansonsten gibt es für den US-Demokraten zu seinem Einjährigen im Weißen Haus am Donnerstag wenig Erbauliches. Der mit viel Schwung gestartete 79-Jährige hat in den vergangenen Monaten einen Rückschlag nach dem anderen kassiert, ein Großteil seiner Reformagenda scheint unerreichbar, und bei den Kongress-Zwischenwahlen im November könnte es eine schwere Klatsche geben.
Nur noch rund 42 Prozent der Wähler befürworten im Umfrageschnitt die Arbeit des Präsidenten. In einer Erhebung kam der weißhaarige Politik-Veteran sogar auf unterirdische 33 Prozent.
Die vergangene Woche stand dabei sinnbildlich für Bidens Misere. Sein Versuch, umfassende Wahlrechtsreformen durch den Kongress zu boxen, wurde von zwei Senatoren der eigenen Partei ausgebremst. Der Supreme Court blockierte inmitten explodierender Corona-Infektionszahlen Bidens Impf- und Testvorgaben für große Unternehmen. Die Inflation stieg auf sieben Prozent und damit den höchsten Wert seit knapp 40 Jahren. Und die Befürchtungen vor einem russischen Einmarsch in der Ukraine wuchsen weiter. Von einer „Höllen-Woche“ sprachen US-Medien.
Dabei hatten bei Bidens Amtsantritt am 20. Januar 2021 nach vier turbulenten Trump-Jahren Optimismus und Aufbruchstimmung geherrscht. „Es gab hohe Erwartungen, dass Biden mit seiner Erfahrung und seinem Wissen über Washington dafür sorgen kann, dass die Züge wieder pünktlich fahren“, sagt die Politikwissenschaftlerin Lara Brown von der George Washington University. „Es ging um eine Rückkehr zur Normalität.“
Tatsächlich ging der Präsident mit großem Elan ans Werk. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie sorgte eine rasante Impfkampagne für einen deutlichen Rückgang der Infektionszahlen, der Kongress beschloss schnell ein 1,9 Billionen Dollar schweres Hilfspaket, das auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abfederte, und bei den westlichen Verbündeten sorgte Bidens Rückkehr zu internationaler Kooperation für Seufzer der Erleichterung.
Doch vielleicht lag in diesen schnellen Erfolgen schon der Keim für die bald folgenden Probleme. Die Biden-Regierung habe sich zu „Hochmut“ verleiten lassen, sagt Politikexpertin Brown.
Nachdem Biden am Nationalfeiertag am 4. Juli die „Unabhängigkeit“ vom Coronavirus erklärt hatte, machten die Delta-Variante und später Omikron die Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Pandemie zunichte. Der Afghanistan-Abzug wurde im August mit der Rückkehr der Taliban an die Macht zu einer demütigenden Niederlage für die Weltmacht USA. Und innenpolitisch geriet die ambitionierte Reformagenda des Präsidenten bald ins Stocken.
Zwar beschloss der Kongress ein billionenschweres Infrastrukturprogramm. Die Verhandlungen über Bidens noch größeres Sozial- und Klimaschutzpaket aber sind nach monatelangen Verhandlungen an einem toten Punkt angekommen. Ähnlich sieht es mit Reformen gegen Schusswaffengewalt, Polizeigewalt gegen Schwarze und für das Wahlrecht aus.
Das liegt nicht nur an der Blockadehaltung von Trumps oppositionellen Republikanern. Vielmehr scheitert Biden bislang bei zentralen Reformvorhaben an parteiinternem Widerstand, konkreter: an den demokratischen Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema, die sich seiner Agenda aus unterschiedlichen Gründen widersetzen.
Wie eiskalt die beiden Mitte-Politiker angesichts von Bidens hauchdünner Senatsmehrheit ihre Macht ausnutzen, treibt große Teile der Demokraten und insbesondere den linken Parteiflügel zur Weißglut. Doch nicht wenige sehen beim Präsidenten zumindest eine Mitschuld: Demnach ließ Biden sich nach seinen anfänglichen Erfolgen zu Reformvorhaben hinreißen, für die er nie die notwendigen Stimmen bekommen würde. „Präsident Bidens Augen sind größer als der Magen seiner Mehrheit“, schrieb die „Washington Post“ kürzlich.
Ob Biden das Ruder noch einmal herumreißen und einige Reformen zumindest in abgespeckter Form durch den Kongress bringen kann, wird sich zeigen. Die Zeit drängt: Die Demokraten befürchten, ohne greifbare Erfolge bei den Wahlen im Herbst vollkommen unter die Räder zu kommen und beide Parlamentskammern an die Republikaner zu verlieren.
Der sonst so ruhige und auf Ausgleich bedachte Biden hat in den vergangenen Wochen einen zunehmend kämpferischen, teils sogar zornigen Ton angeschlagen. Auch seine Sprecherin Jen Psaki ging diese Woche in die Offensive. Die Regierung habe in ihrem ersten Jahr „unglaubliche Fortschritte“ erzielt. Und: „Der Job ist noch nicht erledigt.“