Im Ukraine-Konflikt hat Großbritannien nach eigenen Angaben Hinweise auf ein Komplott Moskaus zur Einsetzung eines pro-russischen Führers in Kiew. Das russische Außenministerium wies den Vorwurf der Briten als „Desinformation“ zurück. Die ukrainische Regierung kündigte daraufhin am Sonntag an, die Zerschlagung von pro-russischen Gruppen fortzusetzen, die das Land destabilisieren wollten.
Großbritannien verfüge über Informationen, „die darauf hindeuten, dass die russische Regierung versucht einen pro-russischen Führer in Kiew einzusetzen“, erklärte das britische Außenministerium am Samstag. Es habe Beweise dafür, dass mehrere ehemalige ukrainische Politiker Verbindungen zu russischen Geheimdiensten hätten. „Einige von ihnen stehen in Kontakt mit russischen Geheimdienstmitarbeitern, die derzeit in die Planung eines Angriffs auf die Ukraine verwickelt sind“, erklärte das Ministerium. Als ein möglicher pro-russischer Führer gelte der ehemalige Abgeordnete Jewgeni Murajew.
Murajew sprach sich am Sonntag für eine neue politische Führung in seinem Land aus. „Die Ukraine braucht neue Politiker, deren Politik auf den Prinzipien der nationalen Interessen der Ukraine und der ukrainischen Bevölkerung beruht“, erklärte er auf seiner Facebook-Seite.
Murajew präsentiert sich als unabhängig und wirft der ukrainischen Regierung vor sich vom Westen bevormunden zu lassen. Er ist Vorsitzender der Partei Naschi („Unsere“) und zählt laut einer Umfrage von Dezember zu den zehn beliebtesten Politikern des Landes, obwohl er seit 2019 keinen Sitz im Parlament mehr hat. Murajew gilt als Eigentümer des ukrainischen Fernsehsenders Nasch, um dessen Abschaltung wegen pro-russischer Propaganda sich die ukrainischen Behörden im vergangenen Jahr bemüht hatten.
Das Außenministerium in Moskau wies den Vorwurf der Briten als gezielte Falschinformation zurück. Die vom britischen Außenministerium „verbreitete Desinformation“ sei ein „weiteres Zeichen, dass es die von den angelsächsischen Nationen angeführten Nato-Mitglieder sind, welche die Spannungen um die Ukraine verschärfen“, erklärte das russische Ministerium auf Twitter. Es forderte London auf, „die Verbreitung von Unsinn zu stoppen“.
Bei den vier neben Murajew von London genannten Politikern mit Verbindungen nach Russland handelt es sich um Mykola Asarow, Sergej Arbusow, Andrej Klujew und Wolodymyr Siwkowitsch. Asarow war unter dem pro-russischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch Ministerpräsident, beide flohen 2014 nach Russland. Arbusow und Klujew waren unter Janukowitsch Vize-Regierungschefs. Gegen Wladimir Siwkowitsch, Ex-Mitglied des ukrainischen nationalen Rates für Sicherheit und Verteidigung, verhängten die USA vor wenigen Tagen Sanktionen wegen des Verdachts der Zusammenarbeit mit russischen Geheimdiensten.
Die britische Außenministerin Liz Truss erklärte auf Twitter, die vorliegenden Informationen „werfen ein Licht auf das Ausmaß der russischen Aktivitäten mit dem Ziel die Ukraine zu stürzen und geben einen Einblick in die Denkweise des Kreml“.
Das Weiße Haus bezeichnete „diese Art der Verschwörung“ als „zutiefst beunruhigend“. Das ukrainische Volk habe „das souveräne Recht, seine eigene Zukunft zu bestimmen“, erklärte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA, Emily Horne.
Die Ukraine erklärte, sie werde weiterhin gegen pro-russische Gruppen vorgehen. „Unser Staat wird seine Politik der Zerschlagung aller oligarchischen oder politischen Strukturen“ fortsetzen, die an der Destabiliserung der Ukraine arbeiten oder den Besatzern helfen“, sagte Mykhailo Podolyak, ein Berater des Stabschefs von Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Russland hat in den vergangenen Wochen mehr als 100.000 Soldaten sowie Panzer, Militärfahrzeuge, Artillerie und Raketen an der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Der Westen befürchtet deshalb einen russischen Großangriff auf das Nachbarland. Der Kreml dementiert Pläne für einen Einmarsch.
Der Vorwurf einer angeblichen Verschwörung Moskaus erfolgte zum Ende einer Woche intensiver internationaler Krisendiplomatie. Nach Gesprächen in Kiew und Berlin hatte sich US-Außenminister Antony Blinken am Freitag in Genf mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow auf eine Fortsetzung der diplomatischen Bemühungen in der Ukraine-Krise geeinigt.