Hunderte User haben seit Februar verschiedene Blog-Artikel auf Facebook geteilt, wonach das japanische Pharmaunternehmen Kowa bestätigt hätte, dass das Medikament Ivermectin gegen die Omikron-Variante des Coronavirus wirke. Dies hätten klinische Phase-III-Studien gezeigt. Auch die Nachrichtenagentur Reuters habe dies bestätigt. Tatsächlich zeigten die Forschungsergebnisse aber nur in vitro und nicht am Menschen eine antivirale Wirkung des Medikaments. Eine entsprechende Reuters-Meldung hat die Nachrichtenagentur korrigiert. Ein Nachweis der Wirkung von Ivermectin gegen Covid-19 steht weiterhin aus, wie Forschende und Institutionen gegenüber AFP bestätigten.
Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben die Blog-Artikel zur vermeintlichen Wirksamkeit von Ivermectin auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Auch auf Telegram haben Zehntausende die Meldungen gesehen (hier, hier). Verlinkt sind Texte der FPÖ-nahen österreichischen Seite „Wochenblick“ und des Blogs „TKP„.
Die irreführende Behauptung
In den Blog-Artikeln heißt es, das Medikament Ivermectin könnte bald als „neues Therapeutikum bei einer Infektion mit dem neuen Coronavirus auf dem Markt sein“. Der japanische Pharmakonzern Kowa hätte die antivirale Wirkung von Ivermectin gegen die Omikron-Variante, wie auch die Alpha-, Beta-, Gamma- und Deltastränge des Coronavirus in einer klinischen Phase-III-Studie nachgewiesen. Das habe auch die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Meldungen zur Behandlung des Coronavirus mittels Ivermectin prüfte AFP bereits mehrfach (hier, hier, hier). Auch die Verwendung des Medikaments in Japan war bereits Thema eines Faktenchecks. Ivermectin wird in der Regel zur Behandlung von parasitären Würmern oder bei Erkrankungen wie Kopfläusen und der Hauterkrankung Rosazea verschrieben.
Woher stammt die Meldung?
Die aktuell verbreiteten Blog-Artikel beziehen sich auf eine archiviert noch abrufbare Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 31. Januar 2022, die mittlerweile korrigiert wurde. Darin hieß es ursprünglich, das japanische Pharmaunternehmen Kowa habe die Wirksamkeit von Ivermectin gegen die Omikron-Variante des Coronavirus in einer Phase-III-Studie nachgewiesen. Reuters berichtete zunächst:
„Das japanische Handels- und Pharmaunternehmen Kowa Co Ltd teilte am Montag mit, dass sich das Antiparasitenmittel Ivermectin in einer Phase-III-Studie als wirksam zur Behandlung der Omikron-Variante von Covid-19 erwiesen hat. Die Studie ergab, dass Ivermectin ‘eine antivirale Wirkung’ gegen die Variante hat, sagte Kowa, ohne weitere Details zu nennen.“
Klinische Studien zu Arzneimitteln werden laut des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in vier Phasen eingeteilt und sollen Kenntnisse über Verträglichkeit, Sicherheit und Wirksamkeit der Medikamente liefern. In der ersten Phase testen Forschende an einer kleinen Zahl von Freiwilligen die Verträglichkeit, in der zweiten finden an einer kleinen Gruppe Untersuchungen zur Wirksamkeit statt. Phase-III-Studien sind laut BMBF groß angelegte Studien. „In den allermeisten Fällen sind es Vergleichsstudien. Dabei werden Patientinnen und Patienten, die die zu untersuchende Behandlung erhalten, mit einer Kontrollgruppe verglichen, die eine andere Behandlung erhält.“, schreibt das BMBF. Ist das Medikament bereits am Markt, können in Phase-IV-Studien bestimmte Eigenschaften bereits zugelassener Arzneimittel gezielt untersucht werden.
Diese Arzneimittelstudien sind sogenannte klinische Studien am Menschen. Im Reagenzglas durchgeführte Versuchte nennt man In-vitro-Studien.
Was hat das Pharmaunternehmen bekannt gegeben?
Tatsächlich hat Kowa am 31. Januar 2022 eine Pressemitteilung zur Wirksamkeit von Ivermectin veröffentlicht. Die in den Blog-Artikeln verbreiteten Behauptungen sind darin aber nicht enthalten.
In der Mitteilung heißt es, bei der Verwendung von Ivermectin sei eine „antivirale Wirkung“ gegen die Omikron-Variante festgestellt worden. Allerdings geschah dies weder bei Studien am Menschen, noch während einer abgeschlossenen klinischen Phase-III-Studie.
Auf AFP-Anfrage bestätigte ein Sprecher von Kowa am 4. Februar, dass die Ergebnisse aus einer nicht-klinischen Studie stammten, und betonte, dass dies bedeute, dass es sich um eine Studie im Labor und nicht an menschlichen Patienten handele.
Auch die Nachrichtenagentur Reuters hat ihre Meldung noch am 31. Januar korrigiert und ergänzt, dass es sich bei der Mitteilung von Kowa um „nicht-klinische“ Forschung gehandelt habe. Der Titel der Meldung wurde dementsprechend geändert. Im Text heißt es nun auch: „In der ursprünglichen Reuters-Meldung wurde fälschlicherweise behauptet, dass Ivermectin in klinischen Studien der Phase III, die am Menschen durchgeführt werden, gegen Omikron „wirksam“ war.“
Die Agentur wies zudem über Twitter auf die Korrektur hin und verwies auf eine Warnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Verwendung von Ivermectin.
Neben der erwähnten Studie führt das Unternehmen Kowa tatsächlich eine klinische Phase-III-Studie (K-237) durch, die ebenfalls in der Pressemitteilung vom 31. Januar 2022 erwähnt ist. Mithilfe der Studie soll die Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19 bei menschlichen Patientinnen und Patienten getestet werden. Diese klinische Studie soll am 31. März 2022 abgeschlossen werden.
Wirksamkeit von Ivermectin am Menschen nicht nachgewiesen
Bereits seit Beginn der Pandemie werden Studien durchgeführt, um herauszufinden, ob Ivermectin auch bei der Bekämpfung von Covid-19 helfen könnte. Das Medikament hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass es die Vermehrung bestimmter Viren, wie etwa bei Gelbfieber, begrenzen kann.
Die Wirksamkeit von Ivermectin gegen das Sars-CoV-2-Virus wurde zwar in einer Studie in vitro (im Labor) festgestellt, die Wirksamkeit beim Menschen ist jedoch bislang nicht belegt, da es keine ausreichend starken wissenschaftlichen Beweise gibt.
Bernard Bégaud, Leiter der Abteilung für Pharmakoepidemiologie am französischen Forschungsinstitut INSERM erklärte gegenüber AFP bereits im August 2021: „Man muss bei In-vitro-Studien, die nicht einmal an Tieren, sondern in Zellkulturen durchgeführt werden, vorsichtig sein.“ Oft sei die vielversprechend erscheinende Wirkung, welche durch bestimmte Konzentrationen im Labor erreicht wird, beim Menschen nicht ohne Giftigkeit erreichbar.
Ähnlich weist auch Reuters in der nun korrigierten Version der Meldung zu Ivermectin hin:
„Viele potenzielle Covid-19-Therapien, die sich im Reagenzglas als vielversprechend erwiesen haben, darunter auch das vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump geförderte Malariamittel Hydroxychloroquin, erwiesen sich in klinischen Studien für COVID-19-Patienten letztlich als nutzlos.“
Auch die französische Gesellschaft für Pharmakologie und Therapie (SFPT) erklärt auf ihrer Website zur Forschung an Ivermectin: „Die große Mehrheit sind entweder nicht von Fachkollegen geprüfte Vorveröffentlichungen oder, wenn sie veröffentlicht werden, Studien mit methodischen Verzerrungen, die die Ergebnisse schwer interpretierbar machen und keine Schlussfolgerungen zulassen.“
Das französische Forschungszentrum Institut Pasteur erklärte zudem im August 2021 gegenüber AFP, für einen Einsatz von Ivermectin im Zuge der Pandemie sei es „unerlässlich, dass klinische Versuche am Menschen abgeschlossen werden“, um die Auswirkungen des Medikaments besser zu verstehen. Zuvor konnte das Institut Pasteur in Versuchen an infizierten Hamstern eine lindernde Wirkung von Ivermectin gegen bestimmte Symptome von Covid-19 feststellen.
Ivermectin wird nicht zur Behandlung von Covid-19 empfohlen
Das Robert Koch-Institut, welches das Infektionsgeschehen in Deutschland überwacht, aktualisierte zuletzt am 7. Januar 2022 eine Bewertung medikamentöser Therapien von Covid-19 durch eine Fachgruppe des Instituts.
Darin heißt es, für Ivermectin gebe es keine Zulassung für die Behandlung von Covid-19. Grund dafür sei die bisher unzureichende Studienlage. Der Einsatz sei nur im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien vorgesehen. Bei unkontrollierter Anwendung bestehe das Risiko schwerwiegender Toxizität.
In Frankreich kommt der Hohe Rat für öffentliche Gesundheit zu einer ähnlichen Einschätzung. Demnach sei die Anwendung von Ivermectin außerhalb klinischer Studien nicht empfohlen. Das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) riet im März 2021 mit Ausnahme von klinischen Studien ebenfalls von der Verwendung ab.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) riet im März 2021 in einer Mitteilung von Ivermectin zur Prävention oder Behandlung von Covid-19 außerhalb kontrollierter klinischer Studien ab. Die Behörde kam zu dem Schluss, dass die „verfügbaren Daten dessen Verwendung bei Covid-19 außerhalb klinischer Studien nicht stützen“. In Laborstudien sei zwar festgestellt worden, dass Ivermectin die Vermehrung des Corona-Virus blockieren könne, „allerdings bei wesentlich höheren Ivermectin-Konzentrationen als denjenigen, die mit den derzeit zugelassenen Dosen erreicht werden.“
Auch in den USA warnt die Arzneimittelbehörde FDA auf einer speziellen Webseite vor der Verwendung des Medikaments gegen Covid-19 und erklärt, „die Einnahme hoher Dosen dieses Medikaments“ könne gefährlich sein und zu schweren Schäden führen.
In Österreich sprach sich der Hersteller von Ivermectin im November 2021 in einer Pressemitteilung sogar selbst gegen die Verwendung aus: „Es gibt keine aussagekräftige Evidenz für die klinische Effektivität gegen Sars-CoV-2.“
Fazit
Das japanische Pharmaunternehmen Kowa hat nicht einer Phase-III-Studie die Wirksamkeit von Ivermectin gegen die Omikron-Variante des Coronavirus belegt. Das Unternehmen gab lediglich Erfolge bei der Virenreduktion im Reagenzglas bekannt. Das RKI sowie zahlreiche andere Behörden raten weiterhin von der Verwendung des Medikaments abseits klinischer Studien ab. Dessen Wirksamkeit gegen das Coronavirus ist bei Menschen nicht bewiesen.