Die jahrelange Mordserie des früheren Krankenpflegers Niels Högel an schwer kranken Intensivpatienten gilt als beispiellos. Ab Donnerstag müssen sich mehrere ehemalige Vorgesetzte des inzwischen rechtskräftig verurteilten Täters wegen ihrer Rolle in dem Fall in einem Prozess verantworten. Sieben Männer und Frauen, darunter etwa ein ehemaliger Geschäftsführer sowie Verantwortliche aus dem ärztlichen und pflegerischen Bereich von zwei Kliniken, sind vor dem Landgericht Oldenburg in einem gemeinsamen Verfahren angeklagt.
Die Staatsanwaltschaft wirft den früheren und teils auch heute noch aktiven leitenden Mitarbeitern dabei Totschlag durch Unterlassen, versuchten Totschlag durch Unterlassen oder Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen vor. Sie sollen Taten nicht verhindert haben, indem sie trotz vorliegender Verdachtsmomente nicht einschritten oder die Behörden informierten. Dabei geht es allerdings nur um insgesamt acht Fälle in eng umrissenen Zeiträumen 2001 sowie 2005.
Högel vergiftete während seiner Dienstzeit auf Intensivstationen an zwei niedersächsischen Krankenhäusern in Oldenburg und Delmenhorst zwischen 2000 und 2005 schwer kranke Patienten mit Medikamenten, um sie wiederzubeleben. Viele Opfer starben dabei. Högel wurde in mehreren Prozessen wegen Tötungsverbrechen an 91 Patienten verurteilt und verbüßt eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes.
Das Verfahren gegen seine ehemaligen Vorgesetzten wurde von der Justiz zunächst zurückgestellt, bis die Strafe aus dem bislang letzten Mordprozess gegen Högel rechtskräftig wurde. Dies hatte juristische Gründe, weil er als Hauptbelastungszeuge gilt.
Die Oldenburger Staatsanwaltschaft hatte die früheren Vorgesetzten Högels ursprünglich wegen weit mehr Fällen angeklagt. Das Gericht ließ die Anklagen aber aus rechtlichen Erwägungen nur eingeschränkt zu. Diese Entscheidung wurde anschließend auch vom Oberlandesgericht in Oldenburg bestätigt. Demnach sind die äußerst strengen juristischen Voraussetzungen, unter denen jemand wegen bloßen Unterlassens für Tötungshandlungen eines Anderen mitverantwortlich gemacht werden kann, nur in Einzelfällen erfüllt.
Angeklagt sind Verantwortliche der zwei Krankenhäuser in Oldenburg und Delmenhorst – darunter ein Ex-Geschäftsführer, eine frühere Pflegebereichsleiterin und ein ehemaliger ärztlicher Leiter sowie Oberärzte und Mitglieder von Pflegstationsleitungen. Das Verfahren gegen einen Angeklagten, der als Pflegestationsleiter am Klinikum Delmenhorst arbeitet, wurde kurz vor dem Prozessstart krankheitsbedingt abgetrennt. Das Verfahren gegen ihn soll später nachgeholt werden.
Im Fall der nunmehr noch drei angeklagten Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst etwa geht es laut Anklage um fünf Fälle von versuchtem oder vollendetem Totschlag durch Unterlassen im Mai und Juni 2005. Kurz zuvor war Högel dort von einer Kollegin bei der Verabreichung einer Injektion bei einem Intensivpatienten quasi auf frischer Tat ertappt worden, was letztlich die ganze Mordserie ans Licht brachte.
Die Krankenhausleitung ordnete intern eine Blutuntersuchung bei dem Patienten an, ließ Högel aber noch einige Tage bis zu einem ohnehin geplanten Urlaub weiterarbeiten. In dieser Zeit beging er weitere Taten, die nun Gegenstand der Anklage und des Strafprozesses sind.
Das Ausmaß der Verbrechen Högels kam erst mit großer Verzögerung ans Licht, was später auch der Staatsanwaltschaft scharfe Kritik einbrachte. In einem ersten Strafprozess wurde Högel anfangs nur wegen der versuchten Tötung jenes Patienten, bei dessen Vergiftung er beobachtet worden war, verurteilt. Danach versandeten die weiteren Ermittlungen trotz Verdachtsmomenten für mehrere Jahre.
Erst im Lauf weiterer Prozesses verdichteten sich die Hinweise auf eine weit größere Dimension des Geschehens. Unter anderem gestand Högel in einem Verfahren gegenüber einem Gutachter 30 Morde. Danach begann eine Sonderkommission von Polizei und Staatsanwaltschaft mit systematischen Ermittlungen und exhumierte verstorbene Patienten.
Die Arbeit dieser Sonderkommission legte die Grundlage für einen weiteren Prozess, in dem sich Högel 2018 und 2019 wegen Mordes an 100 Patienten verantworten musste. Am Ende sah das Gericht 85 Taten als erwiesen an. Während des Verfahrens kam auch scharfe Kritik am Verhalten seiner Vorgesetzten insbesondere am Klinikum Oldenburg auf, deren späteres Aussageverhalten gegenüber Polizei und Justiz teilweise scharf gerügt wurde. Das Gericht sprach von „Vertuschung“.