Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine hat Litauen nach den Worten von Präsident Gitanas Nauseda beantragt, Artikel 4 des Nato-Vertrags zu aktivieren. Diplomaten zufolge erheben auch Polen, Rumänien, Estland und Lettland diese Forderung.
Gemäß Artikel 4 des Nato-Vertrags kann jeder Mitgliedstaat im Fall einer Bedrohung seiner Sicherheit die Einberufung einer Sitzung des Nato-Rates in Brüssel verlangen. Die Bündnispartner sichern sich darin „Konsultationen“ in allen Fällen zu, in denen ein Mitglied „seine territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit“ gefährdet sieht. Auf der Sitzung des Nato-Rats muss das Thema zunächst lediglich besprochen werden. Das kann zu gemeinsamen Beschlüssen oder Maßnahmen der Nato führen, muss es allerdings nicht.
Der mögliche Anwendungsbereich von Artikel 4 ist somit weniger klar als das in Artikel 5 des Bündnisvertrags fixierte Beistandsversprechen. Dieses gilt für den Fall eines „bewaffneten Angriffs“ auf eines oder mehrere Mitgliedstaaten in Europa und Nordamerika. Laut Nato wurde Artikel 4 vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am Donnerstag in der mehr als 70-jährigen Geschichte der Allianz lediglich sechsmal aktiviert, fünfmal von der Türkei.
Dabei ging es jeweils um Entwicklungen in deren Nachbarländern Irak und Syrien. Wegen der daraus resultierenden Bedrohung der türkischen Bevölkerung startete die Nato in Folge dieser Konsultationen 2003 und 2012 defensive Unterstützungsmissionen. Sie entsandte Einheiten zur Raketenabwehr und Aufklärungsflugzeuge zur Luftraumüberwachung. Den einzigen anderen Fall einer Aktivierung von Artikel 4 gab es 2014 durch Polen im Zuge der damaligen russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim.