Nein, Menschen ohne Covid-19-Symptome sind nicht automatisch gesund

Mann mit Aluhut
Mann mit Aluhut

Von einer „Testpandemie“ sprechen seit Ende März tausendfach geteilte Postings und stellen dazu gleich noch eine Behauptung auf: „Ohne Symptome ist man gesund!“ Corona-Infektionen treten allerdings auch symptomlos auf, auch die Ansteckung anderer ist in diesen Fällen möglich.

Mehrere Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben seit Ende März ein Bild geteilt (hierhierhier), wonach die Corona-Pandemie eine reine „Testpandemie“ sei. Das Testen sei nutzlos, und positive Ergebnisse würden nur zur Legitimation von Corona missbraucht, denn: „Ohne Symptome ist man gesund!“ Das Posting appelliert deshalb: „Hört verdammt noch mal auf, euch Testen zu lassen! (..) Unsere Demokratie wird dadurch abgeschafft! Jeder Erwachsene, der da mit macht, zerstört die Zukunft unserer  unserer Kinder und Enkelkinder!!“

Facebook-Screenshot: 12.04.2021

AFP hat Jörg Timm das Posting gezeigt. Er leitet das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und schrieb am 12. April in einer E-Mail: „Ohne Symptome ist man natürlich nicht automatisch gesund.“ Nach seinen Angabe gibt es mehrere Umstände, unter denen jemand infiziert, also krank ist, aber (noch) keine Symptome hat.

Die erste Möglichkeit ist ein asymptomatischer Verlauf einer Corona-Infektion. Das bedeutet, dass ein Mensch zwar infiziert ist, aber nie Symptome von Covid-19 aufweist. Eine Übersichtsstudie der Universität Bern, die 79 Studien ausgewertet hat, kam zum Ergebnis, dass rund 20 Prozent der Infizierten ohne Symptome blieb. Mit Verweis auf eine ähnliche Übersichtsstudie schätzt das Robert-Koch-Institut (RKI) die Auswirkungen von solchen asymptomatischen Fällen auf die Verbreitung des Virus aber eher gering ein: „Diese Ansteckungen spielen vermutlich jedoch eine untergeordnete Rolle.“ Am wichtigsten bei der Verbreitung sind Menschen mit Symptomen.

Allerdings heißt ein asymptomatischer Verlauf auch nicht zwingend, dass der Körper bei der Erkrankung keinen Schaden nimmt. Das zeigt etwa der Fall des Kreuzfahrtschiffes „Diamond Princess“. Etwa die Hälfte der dort positiv getesteten Menschen war asymptomatisch. Mediziner führten später bei 76 von ihnen Tomographien durch, gut die Hälfte hatte Lungentrübungen. Auch ohne dass sie Symptome bemerkt hatten, veränderte sich also ihre Lunge.

Die zweite Möglichkeit: Symptome setzen nicht unmittelbar nach der Infektion ein. Man ist also bereits erkrankt, bis zum Auftreten der ersten Symptome vergeht aber noch einige Zeit. „Der Begriff der Inkubationszeit beschreibt genau diese Phase, in der bereits eine Infektion vorliegt, aber noch keine Erkrankungssymptome aufgetreten sind“, erklärt Timm.

Ansteckend ist man in dieser Zeit oft aber trotzdem: „Ein relevanter Anteil von Personen steckt sich bei Infizierten innerhalb von ein bis zwei Tagen vor deren Krankheitsbeginn an“ schreibt das Uniklinikum Leipzig auf seiner Website, und das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) hält fest: „Man kann andere Personen bereits anstecken, bevor man überhaupt bemerkt, dass man krank ist.“ Auch das RKI warnt: „Die Dauer von der Ansteckung (Infektion) bis zum Beginn der eigenen Ansteckungsfähigkeit (Infektiosität) ist genauso variabel wie die Inkubationszeit. Aus Einzelbeobachtungen lässt sich jedoch schließen, dass auch sehr kurze Intervalle bis zum Beginn der Ansteckungsfähigkeit möglich sind, d. h. eine Ansteckung anderer Personen am Tag nach der eigenen Infektion, möglicherweise sogar am selben Tag.“

Jörg Timm beantwortet die Frage nach der Ansteckungsmöglichkeit ohne Symptome ebenfalls klar: „Das ist ganz eindeutig der Fall. Das gilt sowohl für Übertragungen in einer präsymptomatischen Phase als auch bei komplett asymptomatischen Verläufen. Entscheidend für das Übertragungsrisiko ist vor allem die Virusmenge in den oberen Atemwegen und weniger die Symptomatik.“

Die Inkubationszeit ist auch keine ungewöhnliche Ausnahme von Corona, so Timm: „Diese Inkubationszeit gibt es von unterschiedlicher Dauer bei praktisch allen viralen Infektionserkrankungen. Dazu zählt die Grippe, aber auch Masern, HIV und Hepatitis B oder C. Bei allen Erkrankungen ist das Virus vor Beginn der Symptomatik nachweisbar und bei allen kann es in dieser Phase vor dem ‚gefühlten‘ Erkrankungsbeginn zu Übertragungen kommen.“ Auch abseits von Infektionskrankheiten sei das möglich. Bei vielen Krebserkrankungen sei das etwa der Fall – trotz Krankheit spüre man zu Beginn noch keine Symptome.

Fazit: Es ist falsch, dass man automatisch gesund ist, solange man keine Symptome zeigt. Es besteht einerseits die Möglichkeit, an Covid-19 erkrankt zu sein und keine Symptome aufzuweisen. Zum anderen können Erkrankte sich auch noch in einer frühen Erkrankungsphase vor dem Einsetzen der ersten Symptome befinden. Infiziert ist man in beiden Fällen, auch eine Weitergabe der Krankheit ist möglich. Auch Langzeitfolgen von Covid-19 treten auch bei Menschen auf, die symptomlos eine Infektion überstanden haben.

Anzeige



Anzeige

Über AFP Faktencheck 23 Artikel
Ein globales Netzwerk von über 100 AFP Faktencheck-Journalisten analysiert und bewertet die am häufigsten geteilten Bilder und Geschichten in sozialen Medien. AFP Faktenchecks sind unvoreingenommen und klären mit belegbaren Fakten auf. In ihren Faktenchecks beschreibt AFP ihre Methodik mit Abbildungen oder erklärt die im Prozess verwendeten Werkzeuge. AFP Faktenchecks enthalten Fotos, Videos und mehrere Quellen und ermöglichen so ihren Lesern, die Überprüfungen selbst transparent nachzuvollziehen und eigene Schlussfolgerungen über eine Falschinformation zu ziehen.