Am Mittwoch wird das nächste Kapitel des Streits zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedern Polen und Ungarn über den Rechtsstaat aufgeschlagen: Dann verkündet der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg seine Entscheidung über den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus. Dieser sieht die Möglichkeit vor, bei Rechtsstaatsverstößen EU-Gelder zu kürzen. (Az. C-156/21 und C-157/21)
Mittel aus dem gemeinsamen Haushalt können der Regelung zufolge jeweils dann gekürzt werden, wenn ihr Missbrauch wegen Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien droht. Eigentlich ist der Rechtsstaatsmechanismus seit Beginn des vergangenen Jahres in Kraft, noch wurde er allerdings nicht angewandt.
Das liegt an einem Kompromiss, den die Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2020 unter der deutschen Ratspräsidentschaft aushandelten: Sie sicherten Warschau und Budapest zu, dass der Mechanismus bis zu einer Entscheidung des EuGH nicht ausgelöst wird und also vorerst keine Gelder gekürzt werden. So konnte der Haushaltsstreit mit den beiden Ländern gelöst werden.
Wegen der Pläne für den Rechtsstaatsmechanismus hatten diese nämlich ein 1,8 Billionen Euro schweren Finanzpaket bestehend aus dem EU-Haushaltsrahmen für die kommenden sieben Jahre und dem Corona-Hilfsfonds blockiert. Nun stimmten sie zu, kündigten aber im März 2021 Klagen vor dem EuGH an. Darin beantragen sie, die Regelung für nichtig zu erklären.
Dabei stehen ihre Chancen allerdings nicht gut. Der zuständige Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordon empfahl dem EuGH in seinem juristischen Gutachten im Dezember, die Klagen abzuweisen. Er hielt die Regelung für vereinbar mit EU-Recht, sie stehe im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Die Richterinnen und Richter müssen sich an dieses Gutachten zwar nicht halten, sie orientieren sich bei ihrer Entscheidung allerdings oft daran.
Die Regierungen von Polen und Ungarn stehen seit Langem wegen rechtsstaatlicher Verfehlungen in der Kritik und streiten deshalb mit der EU-Kommission und dem Parlament. Brüssel befürchtet, dass der Rechtsstaat in beiden Ländern erodiert.
Am EuGH gibt es bei der Verkündung der Urteile am Mittwoch eine Premiere: Erstmals wird diese live im Internet übertragen. EuGH-Präsident Koen Lenaerts, ein Belgier, wird die Entscheidungen auf Ungarisch und Polnisch vortragen.