Lothar Wieler: Der eindringliche Mahner gerät unter Beschuss aus der Politik

Lothar Wieler / RKI - Bild: John Macdougall/Pool via REUTERS
Lothar Wieler / RKI - Bild: John Macdougall/Pool via REUTERS

Lothar Wieler hat es in der Corona-Pandemie nie an klaren Worten vermissen lassen: Mit eindringlicher Stimme sprach der Präsident des Robert-Koch-Instituts von „superdüsteren“ Prognosen, warnte vor einem „schlimmen Weihnachtsfest“ und scheute auch nicht davor zurück, die Politik zu kritisieren, wenn er Öffnungsschritte für verfrüht hielt. Dementsprechend verfolgt er auch in seinem Haus eine restriktive Linie in der Pandemie.

Doch seit einiger Zeit zieht der Behörden-Präsident heftige Kritik auf sich: Vor gut drei Wochen sorgte Wielers Institut durch eine fachliche Vorgabe dafür, dass der Genvenenstatus quasi über Nacht von sechs auf drei Monate verkürzt wurde. Die Überraschung war groß, viele Betroffene fühlten sich überrumpelt. Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach von einer „Kommunikations-Fehlleistung“.

Die FDP reagiert nun barsch: Das RKI habe „quasi nebenbei mit einem Federstrich und ohne jegliche Ankündigung“ gehandelt, schimpfte der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im „Spiegel“ und sprach von einer „neuerlichen Verfehlung, die ja leider keinen Einzelfall darstellt“.

In der Tat hat Wieler in der Vergangenheit schon des Öfteren Unmut auf sich gezogen. Ende vergangenen Jahres veröffentlichte er kurz vor einem Bund-Länder-Gipfel zur Pandemie eine Stellungnahme, die schärfere Maßnahmen vorsah, als sie Bund und Länder planten und später beschlossen. Wielers Dienstherr, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), musste einräumen, er sei von Wieler vorab nicht über die Empfehlung informiert gewesen. Unumwunden räumte der Minister ein, hier müsse „Abstimmung optimiert“ werden.

Wieler zeigte sich zumindest nach außen ziemlich unbeeindruckt von der Kritik: „Wir machen seit Jahren Empfehlungen“, sagte der RKI-Chef, der am Dienstag 61 Jahre alt wird. „Die werden wir auch weiter machen.“

Der Veterinär, der 1998 Professor und dann geschäftsführender Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Tierseuchen an der Freien Universität Berlin wurde, steht seit 2015 an der Spitze des Robert-Koch-Instituts. Dessen Aufgabe ist es, zur Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten „wissenschaftliche Erkenntnisse als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen zu erarbeiten“, wie es auf der Seite des Instituts heißt.

Lange Zeit genoss sein Institut keine besondere Aufmerksamkeit, seit nunmehr fast zwei Jahren steht Wieler aber im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Seit Beginn der Pandemie gehört er zu den führenden Experten, die der verunsicherten Öffentlichkeit die Tücken des Corona-Virus erklären müssen.

Sein Engagement in der Corona-Krise ist es denn auch, was Wieler trotz der Angriffe aus der FDP Rückhalt in der Ampelkoalition verschafft. Das RKI habe in der Pandemie eine „wahnsinnig wichtige Arbeit geleistet“, lobt Grünen-Chefin Ricarda Lang. Die Politiker sollten sich an politischen Fakten orientieren, und „da sind wir sehr froh, dass es das RKI gibt“.

Auch die Bundesregierung stellte sich demonstrativ hinter den RKI-Präsidenten. Deren volles Vertrauen genieße Wieler, „nach wie vor“, wie Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag beteuerte. Und selbst aus der oppositionellen CDU erhielt Wieler Rückendeckung. Die Union habe mit ihm immer vertrauensvoll zusammengearbeitet und schätze seine Fachkompetenz, versicherte der Unions-Gesundheitsexperte Tino Sorge in der „Stuttgarter Zeitung“ und den Stuttgarter Nachrichten“.

Schließlich dürfte auch Gesundheitsminister Lauterbach weiter zum RKI-Präsidenten halten – schließlich steht er wie der Behördenchef für einen vorsichtigen Kurs in der Pandemie – und bezeichnet mögliche Öffnungen zum jetzigen Zeitpunkt als „verrückt“.

Und gerade weil die Rufe nach Lockerungen immer lauter werden, kann der Gesundheitsminister jeden Mitstreiter gebrauchen – insbesondere wenn er wissenschaftliche Expertise mitbringt.

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