Ukraine-Konflikt: Das Zögern von „Londongrad“

London, Großbritannien
London, Großbritannien

Boris Johnson droht Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine mit „beispiellosen“ und „massiven“ Sanktionen, sein Land hat erste Strafmaßnahmen gegen russische Banken und Oligarchen verhängt. Doch wie klingen solche Worte des britischen Premierministers aus einem Land, dessen Hauptstadt den Spitznamen „Londongrad“ trägt? Seit Jahren strömen russische Gelder, teils verschleiert, in die Metropole, Oligarchen unterhalten beste Kontakte zur Politik.

Johnson sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, gegen die russischen Gelder an den britischen Finanzmärkten und im Immobiliensektor des Landes nur zögerlich vorzugehen. Reichen Russen ist es seit Jahren möglich, Vermögen in Großbritannien zu parken, teures Eigentum in schicken Londoner Vierteln zu kaufen, ihre Kinder auf private Eliteschulen zu schicken oder die Kontrolle über Fußballclubs zu erlangen – wie etwa der Oligarch Roman Abramowitsch, dem der FC Chelsea gehört.

Erst am Mittwoch musste Johnson erneut den Verzug eines geplanten Gesetzes gegen Wirtschaftskriminalität eingestehen. Es soll die Transparenz der Eigentumsverhältnisse bei Immobilien und bei britischen Firmen erhöhen, die von russischen Oligarchen kontrolliert werden. „Wir müssen korruptes russisches Geld in London und in jeder anderen Finanzmetropole stoppen“, sagte er im Parlament. Dabei müssten New York, Paris und andere Metropolen aber mithelfen.

„Kein Land tut mehr als Großbritannien, um dieses Problem anzupacken.“ Doch nach wie vor gelingt es kaum, in Großbritannien tätige russische Oligarchen aus dem nahen Umfeld von Präsident Wladimir Putin zu identifizieren. Während als Reaktion auf den Ukraine-Konflikt gerade einmal fünf Banken und drei russische Oligarchen sanktioniert wurden, nahm die EU 23 hochrangige Persönlichkeiten ins Visier, darunter den Verteidigungsminister, etliche Banken und gut 350 Abgeordnete.

Ermöglicht wird dieses Phänomen in Großbritannien mehreren Studien zufolge durch ein ganzes Dienstleistungssystem aus Bankern, Buchprüfern, Anwälten, Immobilienmaklern und PR-Beratern. Nicht zuletzt profitierten Johnsons Konservative in den vergangenen Jahren von umfangreichen Spenden reicher Unterstützer mit russischem Ursprung.

„Es kann ja sein, dass all diese Menschen das nur tun, um mit Boris Tennis zu spielen oder zu Abend zu essen“, sagt der Korruptionsexperte Thomas Mayne vom Thinktank Chatham House. Es dränge sich jedoch die Frage nach ihren „wahren Treueverpflichtungen und der Herkunft ihres Geldes“ auf.

Erst in der vergangenen Woche und vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Ukraine-Krise hatte die britische Regierung angekündigt, die Vergabe sogenannter „goldener Visa“ an reiche Investoren mit sofortiger Wirkung einzustellen. Damit wollte London seine harte Haltung zum Zustrom russischen Geldes demonstrieren.

Die 2008 eingeführten Visa waren Investoren vorbehalten, die mindestens zwei Millionen Pfund (2,4 Millionen Euro) investieren und sich in Großbritannien niederlassen wollten. Schon im Jahr 2018 hatte der Auswärtige Ausschuss des Parlaments beklagt, die Regierung gefährde die nationale Sicherheit, indem sie vor dem „schmutzigen Geld“ aus Russland, das durch das Londoner Finanzzentrum fließe, „die Augen verschließe“.

Transparency International schätzt den Wert der Immobilien in Großbritannien im Besitz von Russinnen und Russen, die der Korruption beschuldigt werden oder mit dem Kreml in Verbindung stehen, auf 1,5 Milliarden Pfund. Die Organisation wirft Großbritannien ebenfalls Zögerlichkeit vor. Letztlich sieht sie es so: Jeder Einzelne, egal woher er kommt, der Unmengen an Geld mit ungewissem Ursprung mitbringt, müsse „Bedenken“ auslösen.

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