Er legte eine lupenreine Funktionärskarriere hin, stand an der Spitze des SED-Machtapparats, als die DDR zusammenbrach – und träumt weiter seinen sozialistischen Traum. Am Samstag wird der letzte DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz 85 Jahre alt. Krenz, der weitgehend zurückgezogen an der Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern lebt, fiel nach der Wende tief und sieht sich bis heute als Opfer der „Siegerjustiz“.
Im ersten Politbüroprozess verurteilte das Berliner Landgericht Krenz 1997 wegen seiner Mitverantwortung für die Toten an Mauer und Stacheldraht zu sechseinhalb Jahren Haft. Vor Gericht bedauerte er die Maueropfer, wies aber jede persönliche Verantwortung entschieden zurück und blieb seiner Weltanschauung treu. Er leugnete die Existenz der Schießbefehle, berief sich darauf, dass die SED-Führung das Grenzregime mit seinen vielen Todesopfern nicht habe ändern können und lehnte es ab, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen.
Fast vier Jahre seiner Strafe saß Krenz ab – überwiegend als Freigänger. Auch weil er beharrlich das SED-Regime verteidigte, ließ die Justiz in seinem Fall keine Gnade walten, während seine mitverurteilten früheren Politbürokollegen Günter Schabowski und Günter Kleiber wegen ihrer reuigen Haltung begnadigt wurden.
Mit derselben Beharrlichkeit hatte Krenz seinerzeit seine DDR-Karriere aufgebaut. Der am 19. März 1937 im pommerschen Kolberg geborene Sohn eines Schneiders trat 1953 in die DDR-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) ein und übernahm dort eine Reihe von Führungsfunktionen, bevor er 1974 den Sprung an die Spitze der Massenorganisation schaffte.
Bis 1983 blieb er FDJ-Chef. Im selben Jahr rückte er in das SED-Politbüro auf, den engeren Machtzirkel um den langjährigen Staats- und Parteichef Erich Honecker. Krenz gehörte zudem seit 1981 dem Staatsrat der DDR an, dessen Vizevorsitzender er 1984 wurde.
Lange Zeit galt Krenz als Honeckers Kronprinz. Tatsächlich trat er Honeckers Nachfolge an, als dieser wegen der Flucht- und Ausreisewelle sowie der Massenproteste in der DDR im Oktober 1989 zum Rücktritt gezwungen wurde. Doch das Ziel der alten SED-Garde, mit dem vergleichsweise jungen Krenz der Einheitspartei die Macht zu erhalten, misslang. Die Menschen schenkten Krenz kein Vertrauen. Bereits im Dezember musste er seine Führungsämter abgeben, im Januar 1990 wurde er aus der SED-Nachfolgepartei PDS ausgeschlossen.
Nach der Wiedervereinigung folgte für Krenz wie für eine ganze Reihe anderer SED-Funktionäre dann ein juristisches Kapitel. Von Januar 2000 bis Dezember 2003 verbüßte er seine Haftstrafe, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Zuvor war er mit einer Beschwerde gegen die Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert.
Um sich den Status eines Freigängers zu sichern, suchte sich Krenz während seiner Haftzeit Jobs. Er arbeitete unter anderem für ein orthopädie- und rehatechnisches Unternehmen, dessen Chef ihn als „äußerst diszipliniert, zuverlässig und bescheiden“ lobte. Zudem versuchte er, ausrangierte Flugzeuge einer deutschen Fluggesellschaft in den Staaten der früheren Sowjetunion zu verkaufen. Dabei kamen ihm seine perfekten Russischkenntnisse entgegen. Schließlich hatte er auf der Parteihochschule in Moskau studiert.
Seine Weltsicht verarbeitete Krenz in Büchern wie „Herbst ’89“, „Gefängnis-Notizen“ und „Wir und die Russen“. Den Untergang der DDR empfindet der nun bald 85-Jährige auch als persönliche „Lebensniederlage“, wie er vor einigen Jahren in einem Zeitungsinterview sagte. Er sei zwar zu Veränderungen bereit gewesen, allerdings erst „viel zu spät“. Die Geschichte holte Krenz ein – am 9. November 1989 fiel die Mauer.