So hatte sich das keiner der Wahlkampfstrategen in Frankreich vorgestellt: Präsident Emmanuel Macron kündigte seine Kandidatur mit einem knappen Schreiben kurz vor Ablauf der Frist an und machte gleich klar, dass er den Wahlkampf nicht so führen könne wie gewollt. „Wegen des Kontextes“ schrieb er lapidar zur Begründung, aber allen ist klar, dass der Präsidentschaftswahlkampf wegen des Ukraine-Kriegs komplett anders verlaufen wird als geplant.
Für Großveranstaltungen mit Fähnchen schwenkendem Publikum und flammenden Reden hat Macron im Moment keine Zeit. Ein für Samstag geplantes Wahlkampftreffen in Marseille wurde bereits abgesagt.
Dass ihn das Stimmen kosten könnte, braucht der Präsident nicht zu befürchten – im Gegenteil. In einer Umfrage von Freitag ist er innerhalb von zwei Wochen um fünf Punkte auf 29 Prozent geklettert. „Macron profitiert von seinem Status als Staatschef, Beschützer der Franzosen und ihrer Werte, Chef der Streitkräfte und der Diplomatie“, analysieren die Meinungsforscher des Instituts BVA.
Macron engagiert sich seit Wochen hartnäckig in der Ukraine-Krise, die nun in einen Krieg eskaliert ist, der ganz Europa erschüttert. Seit Mitte Dezember hat er ein Dutzend Mal mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj redet er manchmal mehrfach am Tag. Zugleich schickt Frankreich Soldaten an die Ostflanke der Nato, seinen Flugzeugträger Charles-de-Gaulle in Reichweite Rumäniens und Waffen in die Ukraine.
Für Macron ist der Ukraine-Krieg ein Schlüsselmoment: Er fühlt sich in seinem Streben nach europäischer Souveränität und gemeinsamer Verteidigung bestärkt. Dass Frankreich durch einen Zufall derzeit auch die EU-Ratspräsidentschaft innehat, verschafft ihm eine zusätzliche Bühne.
Relativ offen ist nach wie vor, wer gegen Macron in der Stichwahl um das Präsidentenamt antreten wird. Wie auch bei der Wahl 2017 kommt Macron die Zersplitterung der französischen Parteienlandschaft zugute.
Derzeit liegt die Rechtspopulistin Marine Le Pen vorn, aber ihre Putin-freundliche Haltung könnte ihr noch beträchtlich schaden. Sie hat gerade erst das Verteilen von Wahlkampfbroschüren eingestellt, in denen ihre „internationale Statur“ mit einem Foto belegt werden sollte, das sie lächelnd beim Handschlag mit Putin im Kreml zeigt. Le Pens Partei lässt sich zudem seit Jahren von russischen Geldgebern finanzieren.
Auch Éric Zemmour, der noch weiter rechtsaußen steht als Le Pen, und der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon drehen derzeit Pirouetten, um pro-russische Äußerungen der Vergangenheit zu rechtfertigen. „Ich wünsche mir einen französischen Putin, aber den gibt es leider nicht“, hatte Zemmour 2018 in einem Interview gesagt. Und Mélenchon, der mehrfach betont hatte, man könne mit Putin „ganz normal reden“, hatte sich anfangs gegen die Sanktionen gegen Russland gestellt.
Macrons Gegner hatten ihm in den vergangenen Wochen immer wieder vorgeworfen, mit Steuergeldern seinen Wahlkampf zu finanzieren. Tatsächlich hat die französische Regierung sich im vergangenen Jahr großzügig gezeigt, erst mit den finanziellen Hilfen für die von der Pandemie betroffenen Unternehmen, dann mit der Deckelung der Preise für Gas und Strom. Einkommensschwache Haushalte bekamen kurz vor Weihnachten sogar einen „Energiescheck“ über hundert Euro zugeschickt.
Glück hat Macron beim Thema Pandemie. Die Corona-Zahlen sinken derzeit so rasant wie sie ab Ende November angestiegen waren. Passenderweise verkündete Premierminister Jean Castex das Ende der Maskenpflicht in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens am selben Tag wie Macron seine Kandidatur.
Sein Wahlprogramm riss Macron bislang nur sehr dürftig an: mehr Geld für Lehrer, mehr Ärzte auf dem Land, ein neuer Anlauf für eine Rentenreform. Und Investitionen sowohl in erneuerbare Energien als auch in Atomkraft, um „als erste Land von Gas, Öl und Kohle unabhängig zu werden“.
Bei seiner ersten Wahl 2017 galt seine politische Unerfahrenheit als sein größtes Handicap. Als Macron mit 39 Jahren ins Amt kam, war er zuvor in kein einziges politisches Amt gewählt worden. Heute, mit 44 Jahren, hat er als Staatschef bereits eine Reihe Krisen hinter sich. Und das Ende der jüngsten und schlimmsten Krise ist noch nicht absehbar.