Die humanitäre Lage in Afghanistan ist dramatisch, doch die Spendenbereitschaft der internationalen Gemeinschaft hält sich in Grenzen. Auf einer virtuellen Geberkonferenz wurden am Donnerstag nach UN-Angaben nur 2,44 Milliarden Dollar statt der benötigten 4,4 Milliarden Dollar zugesagt. Deutschland sicherte 200 Millionen Euro zu. UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einer „Todesspirale“ der Wirtschaft in dem von den radikalislamischen Taliban kontrollierten Land.
Die Geberkonferenz wurde von den Vereinten Nationen zusammen mit Deutschland, Großbritannien und Katar organisiert. Die UNO hatte im Januar mitgeteilt, dass sie zur Finanzierung des humanitären Bedarfs in Afghanistan in diesem Jahr 4,4 Milliarden Dollar (3,9 Milliarden Euro) von den Geberländern benötige – der höchste Betrag, der je für ein einzelnes Land gefordert wurde. Am Ende leisteten 41 Länder einen Beitrag, es kam jedoch nur rund die Hälfte des benötigten Betrags zusammen.
„Eine Million schwer unterernährte Kinder sind am Rande des Todes“, sagte Guterres bei der Eröffnung der Geberkonferenz. Er und weitere Redner zeichneten ein verzweifeltes Bild von Hunger, Armut und Unterdrückung. Etwa 95 Prozent der Afghanen haben demnach nicht genug zu essen, neun Millionen sind von einer Hungersnot bedroht.
„Die Menschen verkaufen bereits ihre Kinder und Körperteile, um ihre Familien zu ernähren“, fügte der UN-Chef hinzu. „Der erste Schritt einer sinnvollen humanitären Hilfe muss darin bestehen, die Todesspirale der afghanischen Wirtschaft zu stoppen.“
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte für Deutschland zusätzlich 200 Millionen Euro humanitäre Hilfe zu. Sie forderte die in Afghanistan regierenden radikalislamischen Taliban auf, Akteure der humanitären Hilfe nicht zu behindern und deren Sicherheit zu gewährleisten.
Zusammenarbeit mit den Taliban oder gar über humanitäre Hilfe hinausgehende Unterstützung schloss Baerbock hingegen weiter aus: „Die Taliban kennen unsere Erwartungen: Sie müssen die Menschenrechte achten, eine inklusive Regierung bilden und den Terrorismus bekämpfen.“
Baerbock verwies insbesondere auf die Lage von Frauen und Mädchen in Afghanistan. Vergangene Woche hatte für Aufsehen gesorgt, dass die Taliban die weiterführenden Schulen für Mädchen zunächst geöffnet und nach wenigen Stunden wieder geschlossen hatten. „Es hat mir das Herz gebrochen zu sehen, wie die Mädchen vor ihren geschlossenen Schulen weinten“, sagte die Außenministerin.
„Es muss uns der Balanceakt gelingen, die Menschen in Afghanistan zu unterstützen, ohne dabei die De-facto-Taliban-Regierung in irgendeiner Weise zu legitimieren“, schrieb auch Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im Portal „Zeit Online“. „Nichthandeln können und wollen wir uns nicht leisten.“
Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, Martin Griffiths, forderte eine „nachhaltige, bedingungslose und flexible Finanzierung“. Um humanitäre Hilfe leisten zu können, sei es zudem wichtig, Afghanistan wieder in das internationale Bankensystem einzubinden. Nach der Machtübernahme der Taliban hatte die internationale Gemeinschaft afghanische Vermögenswerte in Höhe von fast neun Milliarden Dollar im Ausland eingefroren.
UN-Generalsekretär Guterres appellierte an die westlichen Staaten, die sich unter US-Führung im vergangenen Jahr aus Afghanistan zurückgezogen hatten: „Die reichen und mächtigen Länder können die Folgen ihrer Entscheidungen für die Schwächsten nicht ignorieren.“