Mädchen in aller Welt neigen laut einer auf Pisa-Daten beruhenden Studie deutlich mehr als Jungen dazu, schulischen Misserfolg auf einen Mangel an eigenem Talent zurückzuführen. Paradoxerweise sei diese Tendenz in Ländern mit einem hohen Maß an Gleichberechtigung und bei Mädchen mit sehr guten schulischen Leistungen besonders ausgeprägt, heißt es in der Untersuchung, die am Mittwoch im Fachblatt „Science Advances“ veröffentlicht wurde.
Die Studienautoren nutzten für ihre Untersuchung Ergebnisse der Pisa-Studie, bei der alle drei Jahre die schulischen Fähigkeiten von 15-jährigen Schülern weltweit untersucht werden. 2018 wurden dabei erstmals mehr als 500.000 Schüler in aller Welt zusätzlich mit folgender Aussage konfrontiert: „Wenn ich scheitere, fürchte ich, dass es daran liegt, dass ich nicht genügend Talent habe.“
Ergebnis: In 71 der 72 untersuchten Länder neigten die Mädchen auch bei gleich guten Schulleistungen wie die Jungen dazu, von ihren Misserfolgen einen Mangel an Talent abzuleiten. Jungen hingegen machten eher äußere Faktoren für ihre Misserfolge verantwortlich. Nur in Saudi-Arabien war diese Tendenz nicht festzustellen.
Während in den wohlhabenden Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 61 Prozent der Mädchen der Aussage zustimmten, waren es nur 47 Prozent der Jungen, also 14 Prozentpunkte weniger. In Ländern außerhalb der OECD war der Unterschied immer noch vorhanden, mit acht Prozentpunkten Differenz aber deutlich geringer.
Eine eindeutige Erklärung für diesen Geschlechterunterschied in der Selbsteinschätzung gebe es nicht, sagte der Co-Autor der Studie, Thomas Breda, der Nachrichtenagentur AFP. Diese Tendenz sei aber bereits in der Vergangenheit beobachtet worden, etwa beim Selbstvertrauen und bei der Wahl des Studiengangs, wobei der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen ebenfalls bei Ländern mit hoher Gleichberechtigung besonders ausgeprägt gewesen sei.
Dies zeige, dass „wenn Länder sich entwickeln, die Geschlechternormen nicht verschwinden, sondern neu konfiguriert werden“, sagte Breda. Ein Erklärungsansatz dafür sei, dass stärker emanzipatorische Gesellschaften das Augenmerk mehr auf individuelle Leistungen legten und individuelles Talent mehr wertschätzten.
Das geringere Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bei Mädchen bleibt laut den Studienautoren nicht ohne Folgen. Denn Mädchen, die den Fehler zuerst bei sich selbst suchten, träten nicht nur weniger selbstbewusst auf, sondern scheuten auch den Wettbewerb mit anderen und arbeiteten daher später seltener in angesehenen und gut bezahlten Berufen.
Somit stießen Frauen in ihrer Karriere oft an eine „gläserne Decke“, erläuterten die Studienautoren. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung legten überdies nahe, „dass es wenig wahrscheinlich ist, dass die gläserne Decke in dem Maße verschwindet, in dem sich Länder entwickeln und gleichberechtigter werden“. Als einen Ausweg aus diesem Dilemma empfiehlt Breda, sich von der „Rhetorik des reinen Talents“ zu verabschieden. „Der Erfolg kommt durch’s Lernen mit Versuchen und Irrtümern.“