Die Zahl der in Deutschland eintreffenden ukrainischen Kriegsflüchtlinge nimmt weiter stetig zu. Sie stieg laut Bundesinnenministerium bis Donnerstagvormittag binnen eines Tages um fast 15.900 auf 95.913 Menschen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sah aber keine drohende Überlastung Deutschlands durch die Flüchtlinge aus der Ukraine.
Die tatsächliche Zahl der eingetroffenen Flüchtlinge könnte allerdings „bereits wesentlich höher“ als offiziell bekannt sein, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erläuterte. Es gebe zwar verstärkte Kontrollen der Bundespolizei, aber keine festen Grenzkontrollen.
Insgesamt kommt weiterhin nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Menschen, die die Kriegsgebiete verlassen, nach Deutschland. Seit Beginn der russischen Offensive am 24. Februar sind nach UN-Angaben bereits über 2,15 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Der größte Teil befindet sich demnach mit knapp 1,3 Millionen Menschen derzeit im Ukraine-Nachbarland Polen.
Wie viele der Menschen nach Deutschland weiterreisen werden, ist unklar. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) macht sich am Donnerstag in der südostpolnischen Ortschaft Korczowa nahe der Grenze zur Ukraine ein Bild von der Lage. Sie besucht dort am Nachmittag eine Aufnahmeeinrichtung mit ihren polnischen und französischen Kollegen.
„Die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen in Polen ist beeindruckend“, erklärte Faeser zu dem Besuch auf Twitter. „Deutschland steht fest an der Seite Polens. Wir helfen, wo immer möglich.“
NRW-Regierungschef Wüst sprach von einer „völlig veränderten Bereitschaft“ in osteuropäischen Ländern, Flüchtlinge aufzunehmen. Was etwa in Polen geleistet werde, sei „unglaublich“, sagte er im Deutschlandfunk. Auch deshalb gehe er nicht davon aus, dass es in Deutschland zu einer vergleichbaren Situation wie während der Migrationskrise wegen des Syrien-Konflikts kommt. „Das ist wirklich überhaupt nicht zu vergleichen mit dem, was wir 2015 erlebt haben“, sagte er.
Bei der Ministerpräsidentenkonferenz kommende Woche werde es um Unterbringung, Versorgung und Verteilung der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge zwischen den Bundesländern gehen, sagte Wüst. Allerdings hätten die Ukraine-Flüchtlinge über die für die Aufnahme genutzte EU-Richtlinie das Recht auf freie Ortswahl. „Das setzt der Koordination natürlich Grenzen.“
„Die Bundesregierung muss einen Sofort-Plan vorlegen, wie die Kommunen die Aufnahme der Geflüchteten finanzieren sollen“, forderte die stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion, Gesine Lötzsch. „Wir brauchen Wohnungen, Schulen und Kindergärten.“ Finanziert werden könne dies aus der ursprünglich für Flüchtlinge angelegten milliardenschweren Finanzrücklage. Allerdings ist dieses Geld bereits anderweitig verplant.
Für die Geflüchteten stehen laut Bundesregierung bisher insgesamt 200.000 private und öffentliche Unterkünfte in Deutschland zur Verfügung. „Wir sind dabei, diese Angebote auf einer digitalen Plattform zugänglich zu machen. Diese wird sehr bald verfügbar sein“, sagte die Innenstaatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ vom Donnerstag.
Die Kommunen wolle der Bund wie schon bei der Flüchtlingskrise 2015 nicht im Stich lassen, betonte die Staatssekretärin. Aber „ich kann jetzt nicht sagen, dass wir schon ein Paket haben. Das muss man in den Ressortkreisen beraten und mit den Ländern und Kommunen besprechen.“