Männer in gelben Wolfsmasken, muskulöse Tänzer mit blanken Oberkörpern, Feuerfontänen und ein Sänger aus Moldau mit schrillen Klamotten, die einen eigenen Kleidungsstil bilden können: Es war am Dienstagabend – fast – wie immer beim Eurovision Song Contest (ESC). Im ersten Halbfinale erinnerte nur der Auftritt des ukrainischen Kalush Orchestra daran, dass Europa gerade Kriegssorgen hat.
Politische Äußerungen sind vom Regelwerk des weltweit am meisten beachteten Musikwettbewerbs untersagt. Es soll wie bei den Olympischen Spielen nur um das Ereignis als solches gehen. Und so verzichteten zumindest im ersten Halbfinale die Starter der anderen Länder auf Meinungsäußerungen, auf Kritik am vom Wettbewerb ausgeschlossenen Russland oder andere Aktionen.
Dem Showcharakter tat diese Regel gut – außerdem kam so die einzige, winzige Meinungsäußerung im Zusammenhang mit dem Krieg stärker zum Tragen. Oleh Psiuk, Sänger des Kalush Orchestra, sprach einen Dank für die Solidarität der Europäer mit seinem Heimatland aus. „Danke für die Unterstützung der Ukraine“, sagte Psiuk am Ende seines Auftritts mit dem Lied „Stefania“.
Die Gruppe sieht eine besondere Verantwortung, für ihre Landsleute möglichst einen Sieg aus dem italienischen Turin mit nach Hause zu bringen. Dass sich das Kalush Orchestra für das Finale qualifizieren würde, war erwartet worden. Was die Anhänger der Band besonders freuen dürfte, ist, dass diese auch nach dem ersten Auftritt der Konkurrenz mit einem riesigen Vorsprung in den Wettbüros vorn liegt.
Außer der Solidarität mit dem angegriffenen Land könnte es auch an der Qualität des Lieds „Stefania“ liegen, das Rap und Folklore mixt. Eigentlich ist es der Mutter von Rapper Psiuk gewidmet. Die Zeile „Ich werde immer zu dir kommen, auch wenn alle Straßen zerstört sind“ hat angesichts der massiven Zerstörungen in der Ukraine aber eine sehr aktuelle politische Note.
Neben der Ukraine qualifizierte sich am Dienstagabend auch die norwegische Band Subwoolfer mit dem Lied „Give That Wolf A Banana“. Die inkognito mit gelben Wolfsmasken auftretenden Sänger zählen zu den skurrilsten Startern dieses Jahres.
Zu den größten Konkurrenten der Ukraine zählen allerdings Starter, die sich nicht qualifizieren müssen, weil sie zu den fünf großen Geldgeberländern des ESC gehören. Das Duo Mahmood und Blanco von Vorjahressieger Italien ist mit seiner einfühlsamen Ballade „Brividi“ schon unabhängig vom ESC weltweit in den Charts erfolgreich. Der Brite Sam Ryder landete mit seinem „Spaceman“ ebenfalls einen Hit. Beiden wäre der Sieg ebenfalls zuzutrauen.
Deutschland ist mit seinem Starter Malik Harris ebenfalls direkt für das Finale der 25 am Samstag qualifiziert. Harris liegt in den Wettbüros weit zurück, immerhin fand er im Onlinenetzwerk Tiktok viele internationale Fans. Nachdem in den vergangenen Jahren Deutschland fast immer auf einem der letzten Plätze landete, wäre ein Platz unter den besten 15 schon ein großer Erfolg.
Der 66. Eurovision Song Contest könnte angesichts der vielen guten Starter als einer der musikalisch besseren Jahrgänge in Erinnerung bleiben. Neben der Ukraine, Italien oder Großbritannien wird auch die Schwedin Cornelia Jakobs hoch gehandelt. Jakobs muss sich allerdings erst noch am Donnerstag im zweiten Halbfinale qualifizieren.
Weil die mehr auf die Musik achtende Jury genauso großes Gewicht bei der Abstimmung hat wie das Publikum, das in diesem Jahr viele Solidaritätspunkte in die Ukraine vergeben könnte, scheint das Rennen um das gläserne Mikrofon für den Sieger trotz der hohen Wettquoten für die Ukraine noch nicht entschieden. Die Organisatoren versprechen unter dem Motto „The Sound of Beauty“ eine heitere Show – auch wenn in Europa Krieg ist.