Studie sieht Lücke von bis zu 50.000 Pflegekräften auf Intensivstationen

Corona-Intensivstation
Corona-Intensivstation

Auf den Intensivstationen in Deutschland fehlen laut einer neuen Analyse bis zu 50.000 Pflegekräfte. Zu diesem Ergebnis kommen Berechnungen des Gesundheitssystemforschers Michael Simon für eine von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Diese Zahl weicht erheblich von den bisherigen Schätzungen zu unbesetzten Stellen ab.

Die Studie legt die Zahl von knapp 28.000 Intensivbetten zugrunde, die es 2020 in den Kliniken gab. Davon waren durchschnittlich etwa 21.000 belegt. Die Zahl der Pflegekräfte in diesem Bereich entsprach etwa 28.000 Vollzeitstellen.

Laut der seit 2019 bundesweit geltenden Pflegepersonaluntergrenzenverordnung, die Mindestbesetzungen auch für Intensivstationen vorgibt, wären nach Berechnungen des Gesundheitsexperten für 21.000 Intensivbetten allerdings 50.800 Vollzeitkräfte erforderlich – und damit deutlich mehr als die vorhandenen 28.000. Um die Pflegepersonaluntergrenzen einhalten zu können, wäre also eine Verdopplung des gegenwärtigen Personalbestands nötig, heißt es in der Studie.

Würden zusätzliche Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin für den Personalbedarf erfüllt, bräuchte es demnach sogar 78.200 Vollzeitkräfte. Daraus ergebe sich für das Jahr 2020 eine Unterbesetzung von 50.000 Vollzeitstellen. Um dies auszugleichen, wäre eine Verdreifachung des Personalbestands nötig. Vermutlich liege die Zahl der Pflegekräfte inzwischen sogar noch niedriger als 2020, weil es während der Coronapandemie zahlreiche Kündigungen gegeben habe, erklärte Simon.

Der Gesundheitsexperte gab gleichzeitig zu bedenken, dass auch die Normalstationen „seit mehr als 30 Jahren unterbesetzt“ seien. Ob Patientinnen und Patienten von einer Normalstation auf eine Intensivstation oder von dort wieder zurückverlegt werden könnten, sei in hohem Maße auch davon abhängig, wie gut Normalstationen besetzt seien. Die Lage könne sich nur verbessern, wenn der Pflegenotstand insgesamt angepackt werde.

Parallel zur Veröffentlichung der Studie kritisierten der Verband der deutschen Intensivmediziner Engpässe bei der Versorgung von Kindern. „Die Lage der Kinderkliniken ist dramatisch“, sagte der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Florian Hoffmann, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Mittwoch. Grund ist demnach Personalmangel.

In vielen Kliniken könnten auf Kinderintensivstationen im Schnitt ein Drittel der Betten wegen Personalmangels nicht genutzt werden, sagte Hoffmann. In manchen Kliniken sei sogar die Hälfte nicht belegbar. Sollte es im Herbst zu Infektionswellen kommen, wie sie üblicherweise aufträten, „haben wir keine Chance, alle Kinder zu versorgen“. In solchen Fällen müssten Krankenhäuser stundenlang herumtelefonieren, um in anderen Kliniken freie Betten zu finden.

Die Gewerkschaft Verdi bekräftigte am Mittwoch ihre Forderung nach „bedarfsgerechten und verbindlichen Personalvorgaben“ in allen Klinikbereichen. Die Studie von Simon liefere „einen weiteren Beleg für die unhaltbaren Zustände in deutschen Krankenhäusern“, erklärte Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler in Berlin. Durch die Belastungen in der Pandemie hätten weitere Pflegekräfte gekündigt oder auf eigene Kosten ihre Arbeitszeit reduziert.

Entscheidend sei eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, fügte Bühler an. Dadurch könnte viele qualifizierte Pflegekräfte zu einer Rückkehr in ihren Beruf motiviert werden. Eine weitere wichtige Stellschraube sei die Aufstockung von Teilzeitverträgen. „Der Teufelskreis aus schlechten Arbeitsbedingungen, Berufsflucht und noch höherer Belastung muss durchbrochen werden“, erklärte sie.

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