Mit Blick auf die Debatte, ob die Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges die im kommenden Frühjahr regulär anstehenden Präsidentschaftswahlen durchführen sollte, erhöht Deutschland den Druck auf Kiew. „Die Bundesregierung misst der Durchführung von Wahlen und der Gültigkeit verfassungsrechtlicher Bestimmungen hohe Bedeutung bei“, sagte ein Regierungssprecher der „Welt“ (Freitagausgabe). Erst in der vergangenen Woche hatten die USA von der Ukraine ausdrücklich gefordert, Wahlen abzuhalten.
US-Senator Lindsey Graham sagte bei einem Treffen in Kiew mit Präsident Selenskyj: „Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass Sie Waffen erhalten. Aber Sie müssen auch etwas tun. Nächstes Jahr finden in der Ukraine Wahlen statt. Ich möchte, dass dieses Land freie und faire Wahlen hat, auch wenn es angegriffen wird.“ In einem am Sonntagabend ausgestrahlten Interview auf dem Sender „1+1“ ging Selenskyj auf diese Forderung ein. „Ich habe Lindsey eine ganz einfache Antwort gegeben“, so der Präsident.
„Wenn die USA und die EU das finanzieren, gibt es Wahlen. Denn ich werde das Geld nicht unserem Militär wegnehmen.“ Laut Selenskyj würden Wahlen in Friedenszeiten 135 Millionen Dollar kosten, „in Kriegszeiten vermutlich mehr.“
Die Frage der „Welt“, ob Berlin sich an der geforderten Finanzierung beteiligen würde, ließ das Kanzleramt unbeantwortet. Deutschland werde „auch weiterhin zu den größten Unterstützern der Ukraine – auch in finanzieller Hinsicht – gehören“, hieß es lediglich. Regulär sieht die ukrainische Verfassung vor, dass die Bürger das Präsidentenamt im Frühjahr nächsten Jahres neu wählen.
Die Parlamentswahlen sollten turnusgemäß im Herbst dieses Jahres stattfinden. Im Mai hat das Parlament das Kriegsrecht jedoch bis Mitte November verlängert, was eine Wahl unmöglich macht. Zum einen verbietet das Kriegsrecht Wahlen per se, zum anderen wäre aufgrund des Versammlungsverbots ein Wahlkampf unmöglich.
Um Wahlen durchzuführen, müsste also das Gesetz geändert werden. Selenskyj zeigte sich dazu im TV-Interview bereit, „wenn die Abgeordneten dies befürworten“.