Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor hat die Islamverbände scharf für ihre Haltung zu den Angriffen der Hamas in Israel kritisiert. „Ich finde es bedauerlich, als Politikerin und Muslimin schmerzt mich das“, sagte sie der „Welt“ zur späten Reaktion der Islamverbände.
„Ich hätte erwartet, dass das zeitnah passiert. Aber es stimmt mich zuversichtlich, dass erste Vertreter von Islamverbänden nun andere Töne anschlagen“, so die Grünen-Politikerin. „Wir müssen die muslimischen Verbände in die Pflicht nehmen, sich eindeutig zu positionieren. Wir brauchen sie im Kampf gegen Antisemitismus.“
Kaddor warnte vor einer Radikalisierung der muslimischen Gesellschaft in Deutschland, die durch das Internet und unterhalb der großen Islamverbände vorangetrieben werde. „Es gibt da auch eine Ebene drunter Akteure, die gefährlich sind, die im Bereich Social Media unterwegs sind und laut Verfassungsschutz der verbotenen Hizbu t-tahrir ideologisch nahestehen. Zu nennen sind hier zum Beispiel die Portale Realität Islam, Generation Islam oder Muslim Interaktiv“, sagte Kaddor.
„Da müssen wir rechtliche Schritte prüfen. Die Wehrhaftigkeit der Demokratie muss auch im virtuellen Raum funktionieren. Radikalisierungen laufen heute oft über das Internet.“
Antisemitismus sei in der muslimischen Gesellschaft in Deutschland „stärker ausgeprägt als im Durchschnitt der Gesellschaft in diesem Land“, so die Islamwissenschaftlerin. „Anders als im europäisch, biologistisch abgeleiteten Antisemitismus, handelt es sich hier häufig um sekundären, israelbezogenen Antisemitismus.“ Kaddor fordert eine Abkehr von der Praxis, Imame der Ditib aus der Türkei zu entsenden, die in Deutschland die Gemeinden betreuen.
„Wir müssen als Staat klar formulieren, dass wir von diesen Verbänden ein Bekenntnis zu diesem Land und seinen Grundwerten einfordern“, sagte die Grünen-Politikerin. „In den letzten Tagen haben sich muslimische Verbände immerhin nach dem Austausch mit der Politik klarer zum Terror der Hamas positioniert. Auch Imame müssen klarmachen, dass sie sich als Teil dieser Gesellschaft sehen und um unsere historische Verantwortung wissen. Auch hier bewegt sich endlich etwas.“ Die Islam-Politik in Deutschland müsse grundsätzlich neu ausgerichtet werden.
„Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir uns in Deutschland überlegen müssen, wie wir unsere Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden neu organisieren müssen, ob dafür Gesetzesänderungen nötig sein könnten. Oder ob wir zum Wohle des gesellschaftlichen Zusammenhalts beispielsweise per Anschubfinanzierung islamische Vereine und Initiativen unterstützen können, damit sie hier wachsen können“, sagte Kaddor.