Hunderttausende User auf Facebook und Telegram haben eine Liste mit Kraftwerken verbreitet, die angeblich gesammelt Ende Dezember 2021 schließen würden. Dadurch drohe ein Blackout, heißt es in den Postings. Die Betreiber der jeweiligen Kraftwerke sowie die Bundesnetzagentur (BNetzA) und das Fraunhofer Institut erklärten allerdings, dass sechs der aufgelisteten Kohlekraftwerke längst abgeschaltet sind. Diese können daher keinen Blackout mehr verursachen. Zwei weitere Kraftwerke sind ebenfalls abgeschaltet, können als Reserve aber weiter Strom liefern. Die restlichen drei Atomkraftwerke auf der Liste gehen tatsächlich Ende Dezember vom Netz. Dieser Schritt ist seit Langem geplant und sollte nach Angaben von Betreibern, BNetzA und Fraunhofer Institut keine negativen Auswirkungen auf die Stromnetze haben.
Die vermeintliche Risiko-Liste hat elf Einträge. Tausende haben sie seit Mitte Dezember auf Facebook geteilt (hier, hier, hier). Hunderttausende sahen sie auf Telegram (hier, hier).
Die irreführende Behauptung
Jeder Eintrag der Liste zeige ein Kraftwerk in Deutschland, das angeblich Ende 2021 abgeschaltet wird. Dazu steht der Hashtag #Blackout. Die Posting-Autoren beschreiben: „Wir wollen keine Panik verbreiten, aber sollte vielleicht jeder mal schauen wo seine Taschenlampe ist und das man wenigstens für ein bis zwei Tage Lebensmittel zuhause hat die man ohne Kühlschrank lagern kann.“ Oder: „Die Bundesnetzagentur hat für Ende 2021 die Abschaltung von 8 weiteren Kohlekraftwerken mit einer Gesamtkapazität von ca. 4800 MW genehmigt.“
Weiträumige Stromausfälle können durchaus passieren, Forschende und Behörden diskutieren auch in Europa über deren Risiko (mehr dazu hier, hier). Konkrete Ängste vor solchen flächendeckenden Blackouts verbreiten sich aber vor allem in rechten Netzwerken (mehr dazu hier, hier). Auch die aktuell verbreitete Liste ist Teil dieser Reihe an Fehlinformationen.
Sechs Kohlekraftwerke wurden bereits abgeschaltet; Zwei stehen in Reserve zur Verfügung; Drei Atomkraftwerke werden abgeschaltet
AFP hat zunächst am 20. Dezember 2021 bei der für Elektrizität zuständigen Bundesnetzagentur nach der Liste und den darauf fußenden Warnungen gefragt. Ein Sprecher erklärte, dass die meisten genannten Anlagen bereits spätestens seit dem Sommer keine Kohle mehr verbrennen durften.
„Für die Anlagen HKW Werk Jülich, Kraftwerk Zuckerfabrik Warburg, Ibbenbüren B, Kraftwerk Hafen Block 6 (Bremen), Moorburg Block A, Moorburg Block B und Walsum 9 (Duisburg) trat zum 08. Juli 2021 das Kohleverfeuerungsverbot nach Paragraph 51 Kohleverstromungsbeendigungsgesetz in Kraft. In diesen Kraftwerken darf seitdem keine Kohle mehr verfeuert werden.“
Eine offizielle Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur mit offenen und bereits geschlossenen Kraftwerken bestätigt diese Angaben. Nur das Kraftwerk Warburg ist nicht in der Liste zu finden, weil diese nur Kraftwerke mit einer Erzeugungsleistung ab zehn Megawatt enthält. Warburg hat nur 4,6 Megawatt erzeugt.
Die Kraftwerke Westfalen und Ibbenbüren haben wegen des nahenden Verbots bereits Ende 2020 die Stromversorgung eingestellt, wie ein Sprecher des Betreibers RWE am 20. Dezember gegenüber AFP mitteilte. Ein Sprecher des Betreibers Steag bestätigte ebenfalls, dass das Kraftwerk Duisburg-Walsum seit Juli 2021 keinen Strom mehr liefert. Der Betreiber SWB von Bremen-Hafen sowie die Südzucker Group als Betreiber des Kraftwerks in Warburg bestätigen auf ihren Websites die Schließungen. Das Kraftwerk Warburg ist demnach bereits seit 2019 stillgelegt. Betreiber Vattenfall bestätigt auf seiner Website ebenfalls das Aus seines Kraftwerks Moorburg. Die Stadtwerke Jülich haben noch nicht auf eine AFP-Anfrage geantwortet, es existieren allerdings Medienberichte über die Schließung.
Die Kraftwerke Heyden und Westfalen E sind laut der BNetzA als systemrelevant eingestuft worden. Das bedeutet: Die Kraftwerke sind zwar vom Netz gegangen, können aber als Reserve wieder Strom produzieren, wenn der Bedarf besteht. Im Zuge dieser Netzreserve evaluieren die Bundesnetzagentur und die jeweils zuständigen Übertragungsnetzbetreiber (50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW) jährlich die nötigen Erzeugungskapazitäten der Stromkraftwerke, damit es eben nicht zu Engpässen kommt. „Unser Kraftwerk Heyden wird mindestens bis zum September 2022 als Reservekraftwerk eingesetzt, sodass es künftig als Puffer im Stromsystem dienen wird“, bestätigte auch ein Sprecher des Betreibers Uniper am 20. Dezember gegenüber AFP.
Etwas anders verhält es sich mit den Atomkraftwerken: Die Betreiber RWE sowie Preussenelektra bestätigten, dass der einzig verbliebene Block C des Kernkraftwerks Gundremmingen sowie die beiden Atomkraftwerke Brokdorf und Grohnde am 31. Dezember 2021 vom Netz gehen werden. Eine Sprecherin von Preussenelektra erläuterte am 20. Dezember: „So sieht es das Atomgesetz vor. Der Atomausstieg mit den dazugehörigen Abschaltungen stehen seit zehn Jahren fest, insofern gehen wir davon aus, dass die Netzbetreiber, die für die sichere Stromversorgung in Deutschland zuständig sind, entsprechende Vorsorge getroffen haben.“
Die Bundesnetzagentur bestätigte das und sieht keine Gefahr von Stromengpässen oder Blackouts durch die Schließungen der Atomkraftwerke. „Die Versorgungssicherheit der Stromversorgung wird regelmäßig auch unter dem Aspekt der wegfallenden Erzeugungskapazitäten im Bereich Kohle und Kernenergie untersucht, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene“, schrieb der Sprecher nach einer AFP-Anfrage. Der Atomausstieg sei lange geplant und die fehlenden Energiemengen der Atomenergie würden durch Stein-, Braunkohle sowie erneuerbare Energien ersetzt. „Die Netzstabilität wurde durch den Kernenergieausstieg zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Mit Redispatch und Netzreserve liegen die notwendigen Instrumente für einen sicheren Netzbetrieb vor.“
Auch eine Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie kam bereits 2019 zum Ergebnis, dass die Stromvorsorge in Deutschland sicher ist.
Um eine zusätzliche unabhängige Quelle zum Thema Energiesicherheit zu befragen, hat sich AFP am 20. Dezember zusätzlich noch an das Fraunhofer Institut gewandt. Dessen leitender Forscher für Energiefragen, Prof. Dr. Bruno Burger, schickte einen Auszug aus den sogenannten Energy-Charts des Instituts, die die Energiegewinnung in Deutschland abbilden. Diese Charts zeigen ebenfalls, dass viele der angegebenen Kraftwerke bereits seit Juli 2021 keinen Strom produziert haben. Deren Abschaltung kann also nicht für einen Blackout Ende 2021 verantwortlich sein.
Nach Abschaltung der bleibenden Atomkraftwerke auf der viralen Liste, so erklärte Burger, werde die Erzeugungsleistung um rund vier Gigawatt sinken. Das entspricht etwa der Leistung von 40.000 Kleinwagen (mit 110 KW-Motoren). „Die noch vorhandenen Gas- und Kohlekraftwerke können das gut auffangen“, erklärte er.
Die Energieprobleme liegen in den Augen des Experten woanders. „Russland drosselt die Gaszufuhr, wodurch die Gaspreise sehr hoch sind“, erklärte er. Im Schlepptau der Gaspreise stiegen deshalb die Steinkohle-Preise. Außerdem: „In Frankreich sind aktuell viele Kernkraftwerke nicht in Betrieb. Allein heute importierte Frankreich zu Spitzenzeiten 14 Gigawatt. Das treibt zusätzlich zu den hohen Brennstoffkosten die Strompreise in die Höhe“ (mehr zu Frankreichs Stromimporten und deren Konsequenzen für den Markt hier). Nicht drohende Blackouts sind demnach das Problem, sondern die Strompreise. Das bestätigten ebenfalls mehrere Sprecher der Kraftwerksbetreiber gegenüber AFP.
Fazit
Alle aufgelisteten Kohlekraftwerke sind bereits vom Netz gegangen. Betreiber und Bundesnetzagentur bestätigen das. Ein Blackout wegen ihrer Abschaltung kann also nicht mehr drohen. Einzig die Atomkraftwerke Gundremmingen, Brokdorf und Grohnde auf der Liste gehen tatsächlich erst zum Jahresende vom Netz – der Atomausstieg steht aber seit zehn Jahren fest. Die Bundesnetzagentur, die Betreiber und das Fraunhofer Institut sehen keine Probleme für die Stromversorgung wegen der Abschaltungen.