Kritik aus Berlin und Wien an EU-Plänen für grünes Label für Atomkraft

Symbolbild: Atomkraftwerk
Symbolbild: Atomkraftwerk

Die EU-Kommission will Atomkraft als grüne Energiequelle einstufen – und stößt damit auf entschiedenen Widerstand in Deutschland und Österreich. Die Brüsseler Behörde schickte in der Neujahrsnacht einen entsprechenden Verordnungsentwurf zur sogenannten Taxonomie an die Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten. Insbesondere von grünen Mitgliedern der Bundesregierung erntete er heftige Kritik. Teil des Streits ist auch die Rolle von Erdgas in der künftigen Energieproduktion. Österreich drohte mit einer Klage.

Die nächste Verordnung zur Taxonomie wird seit Monaten mit Spannung erwartet. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung an Investoren gleich. Die Bewertung von Gas- und Atomenergie ist dabei eine der heikelsten Fragen, deren Beantwortung Brüssel wiederholt aufgeschoben hatte.

„Es muss anerkannt werden, dass der fossile Gas- und der Kernenergiesektor zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können“, heißt es nun in dem Brüsseler Entwurfspapier. Konkret schlägt die Kommission vor, dass bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Atomkraftwerke unter die Taxonomieverordnung fallen.

Demnach soll der „Bau und sichere Betrieb neuer Kernkraftwerke zur Strom- oder Wärmeerzeugung, auch zur Wasserstofferzeugung, unter Einsatz der besten verfügbaren Technologien“ als nachhaltig und klimafreundlich gelten. Weitere Vorgaben sind etwa für den langfristigen Umgang mit radioaktiven Abfällen vorgesehen.

Für neue Gasinfrastruktur sollen laut Kommission bis 2030 genehmigte Projekte für das grüne Label infrage kommen. Die Regeln sind hier allerdings strenger, etwa sollen die fraglichen neuen Anlagen stets eine alte, CO2-intensive Anlage ersetzen. Auch soll nachgewiesen werden müssen, dass die geplante Energieproduktion nicht auch mit einer erneuerbaren Energiequelle geleistet werden könnte.

Die Kommission leitete mit ihrem Entwurf einen Konsultationsprozess mit den Mitgliedstaaten ein. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke bezeichnete die Pläne gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe als „absolut falsch“. „Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht“, erklärte Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Grüne).

Vor allem Frankreich dringt mit Nachdruck auf eine Einstufung der Atomkraft als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder, die mit Atomstrom ihre Klimabilanz verbessern wollen, sind dafür. Entschieden dagegen war bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten, allen voran Deutschland, Österreich und Luxemburg.

Österreichs grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler kritisierte: „Die EU-Kommission hat gestern in einer Nacht- und Nebelaktion einen Schritt in Richtung Greenwashing von Atomkraft und fossilem Gas gemacht.“ Österreich habe bereits ein umfassendes Rechtsgutachten einer renommierten Rechtsanwaltskanzlei zur Atomkraft in der Taxonomie in Auftrag gegeben. „Damit im Gepäck werden wir auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Taxonomieverordnung vorzugehen“, versicherte Gewessler.

Die zumindest eingeschränkt positive Bewertung von Erdgas im Kommissionspapier wurde als Entgegenkommen gegenüber den Atomkraft-Gegnern aufgefasst. Insbesondere Deutschland und Österreich sind stark von russischem Erdgas abhängig und wollen dessen Nutzung als Übergangstechnologie hin zur Klimaneutralität weiter fördern.

Die neue Bundesregierung hat hier allerdings keine geschlossene Linie. Während SPD-Kanzler Olaf Scholz am Kurs der Vorgängerregierung festhalten will, nannte Habeck die Pläne der EU-Kommission für den Umgang mit Erdgas „fraglich“. Immerhin mache die Kommission in diesem Punkt aber „sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss“.

Der nun begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll rund zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen Vorschlag vorstellen, gegen den der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament jeweils ein Veto einlegen können.

Um die Kommissionspläne aufzuhalten, bräuchte es allerdings eine qualifizierte Mehrheit von 20 der 27 Mitgliedstaaten, die zudem für 65 Prozent der EU-Einwohner stehen. Auch im EU-Parlament, wo eine einfache Mehrheit für ein Veto reichen würde, zeichnet sich diese bislang nicht ab.

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