Der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), hat gefordert, die Entscheidung zur Inbetriebnahme der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 so lange wie möglich hinauszuzögern. „Es ist schon allein aus geostrategischen Gründen klug, die Frage möglichst lang offen zu halten“, sagte Hofreiter der Nachrichtenagentur AFP vor den Gesprächen von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Dienstag in Moskau. Sonst gebe Deutschland „ein Druckmittel gegen (den russischen Präsidenten Wladimir) Putin aus der Hand“.
Die Pipeline, die russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland transportieren soll, wurde bereits fertig gestellt. Derzeit prüft die Bundesnetzagentur, ob alle rechtlichen Voraussetzungen für den Betrieb vorliegen.
„Diese Pipeline ist aus zwei Gründen problematisch“, sagte Hofreiter. „Erstens wegen des Klimaschutzes und zweitens, weil Putin durch diese Pipeline die Ukraine und Polen vollkommen umgehen kann. Deswegen machen insbesondere auch unsere osteuropäischen Nachbarn sehr viel Druck, dass diese Pipeline am Ende doch nicht in Betrieb geht.“ Deutschland sei zudem bei der Versorgung „nicht angewiesen auf diese zusätzliche Pipeline, weil die Pipelines, die durch die Ukraine führen, bereits entsprechend gefüllt sind.“
„Die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur ist ein offener Prozess“, betonte Hofreiter. „Ich glaube, wir müssen sehr genau darauf achten, dass Putin die Pipeline nicht weiter nutzt, um Druck zu machen. Wir müssen uns klar machen, was unsere eigenen Interessen sind – sowohl klimapolitisch als auch geostrategisch.“
Gleichzeitig plädierte Hofreiter für einen Dialog mit Moskau. „Wir müssen weiterhin intensiv mit Russland im Gespräch bleiben, ohne naiv gegenüber Putin zu sein, der in der Vergangenheit nicht besonders daran interessiert war, sich an Verträge zu halten“, sagte er. „Wir brauchen natürlich auch Deeskalationsinstrumente gegenüber Putin und da wäre es sinnvoll, wenn man versuchen würde, die Abrüstungsgespräche auf vernünftige und strukturierte Weise zu vertiefen.“
Hofreiter sah unterdessen nur geringe Möglichkeiten, gegen die Einstufung von Erdgas und Atomenergie als nachhaltig vorzugehen, wenn Brüssel an den bisherigen Plänen festhält. „Um den Vorschlag der EU-Kommission abzulehnen, braucht es im Europäischen Rat eine Mehrheit von 20 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren“, sagte Hofreiter. „Eine solche Mehrheit ist nicht leicht zu beschaffen.“
Die EU-Kommission hatte den Mitgliedstaaten zur Jahreswende vorgeschlagen, Gas und Atom als „grün“ einzustufen. Der sogenannte Taxonomie-Beschluss Brüssels käme einer Empfehlung an Finanzinvestoren gleich, in die aufgenommenen Energiebereiche zu investieren – womöglich zulasten erneuerbarer Energieformen wie Wind und Sonne. Bis Ende der Woche können die Mitgliedstaaten zu dem Vorschlag Stellung beziehen.
Hofreiter geht davon aus, dass „die Bundesregierung sich bemühen wird, zumindest die Atomkraft aus der Taxonomie herauszunehmen“. Problem sei aber, dass die Mitgliedstaaten bei dem von der EU-Kommission gewählten Rechtsetzungsverfahren „wenig Hebel haben“.