Der Oberste Gerichtshof Brasiliens hat die landesweite Sperrung des Onlinedienstes Telegram angeordnet. Das Gericht begründete die am Freitag verfügte Maßnahme damit, dass Telegram sich nicht an richterliche Anordnungen zum Entfernen von Desinformation gehalten habe. Der rechtsradikale Präsident Jair Bolsonaro kritisierte die Entscheidung scharf. Telegram ist sein bevorzugter Kommunikationskanal. Insofern könnte sich die Gerichtsentscheidung auf den anstehenden Wahlkampf auswirken.
Telegrams „Missachtung brasilianischer Gesetze und seine wiederholten Versäumnisse bei der Einhaltung zahlloser Gerichtsentscheidungen“ seien nicht mit dem Rechtsstaat zu vereinbaren, erklärte der Richter Alexandre de Moraes. Telegram habe wiederholt Urteile und Anfragen der Polizei, der Landeswahlleitung und des Obersten Gerichtshofs ignoriert.
Moraes nannte explizit auch eine vom Obersten Gericht angeordnete Untersuchung von Vorwürfen, wonach Bolsonaros Regierung offizielle Kommunikationskanäle zur Verbreitung von Falschinformationen nutzen soll. Der Oberste Gerichtshof gab der brasilianischen Telekommunikationsbehörde 24 Stunden Zeit, um den Betrieb von Telegram landesweit auszusetzen.
Bolsonaro bezeichnete die Gerichtsentscheidung als „unzulässig“ und als Gefahr für die „Freiheit“ der Brasilianer. Moraes „hat es nicht geschafft, gegen die zwei oder drei Menschen vorzugehen, die seiner Meinung nach gesperrt werden sollten, also hat er beschlossen, 70 Millionen zu treffen“, erklärte der Staatschef.
Telegram ist in Brasilien äußerst beliebt. Die App ist auf 53 Prozent der Mobiltelefone im bevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas installiert.
Bolsonaro rief über den Kurzbotschaftendienst Twitter dazu auf, seinen Telegram-Kanal zu abonnieren, der am Freitagnachmittag (Ortszeit) noch funktionierte. „Unser Telegramm informiert die Menschen jeden Tag über viele wichtige Aktionen von nationalem Interesse, die viele bedauerlicherweise übersehen“, schrieb er. „Seid willkommen und verbreitet die Wahrheit.“
Bolsonaros Minister für Justiz und Sicherheit, Anderson Torres, erklärte, dass Millionen von Brasilianern „plötzlich durch eine individuelle Entscheidung benachteiligt“ würden. Sein Ministerium prüfe „eine Lösung, um den Menschen das Recht auf die Nutzung des sozialen Netzwerks zurückzugeben“. Genauere Angaben dazu machte er nicht.
Große Onlinenetzwerke wie Facebook, Twitter und Youtube hatten mehrfach Beiträge von Bolsonaro wegen Verstößen gegen die Regeln gegen Falschinformationen gelöscht und seine Accounts zeitweise gesperrt. Mit Blick auf die im Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlen setzte der Amtsinhaber zuletzt vor allem auf Telegram. Laut aktuellen Umfragewerten würde der seit Anfang 2019 amtierende Bolsonaro nach jetzigem Stand die Präsidentschaftswahl gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verlieren.
Die Telegram-Sperrung „wird große politische und wahltaktische Auswirkungen haben“, sagte der Politologe und Spezialist für digitale Kommunikation, Pablo Ortellado. „Dies könnte eine der wichtigsten Spielfiguren des Wahlkampfs verschieben.“
Richter Moraes verwies in seiner Entscheidung auch auf Telegrams Weigerung, sich an einer Vereinbarung gegen Desinformation während der Wahlen zu beteiligen. Unterzeichnet haben diese bislang Twitter, Tiktok, Facebook, Whatsapp, Instagram und Youtube.
Telegram-Chef Pavel Durov entschuldigte sich am Freitag in einer Instagram-Botschaft und führte ein „Kommunikationsproblem“ an. „Im Namen unseres Teams entschuldige ich mich beim brasilianischen Obersten Gerichtshof für unsere Nachlässigkeit. Wir hätten definitiv bessere Arbeit leisten können“, erklärte der Unternehmensgründer. Telegram hat seinen Firmensitz in Dubai.