Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann geht fest davon aus, dass die Ampel-Koalition bis Ende 2022 eine Reform des Wahlrechts beschließen wird. „Ziel ist die deutliche Verkleinerung des Bundestags und die Wiederannäherung an die Sollgröße von 598 Sitzen“, sagte Haßelmann der Nachrichtenagentur AFP. Dies sei „absolut notwendig für die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie und für die Arbeitsfähigkeit des Bundestags“, betonte sie. „Wir sind jetzt bei 736 Mitgliedern und so kann das nicht weitergehen.“
Die Beratungen innerhalb der Koalition über eine Wahlrechtsreform sollen Haßelmann zufolge im Januar starten. Sobald sich die Ampel-Parteien über einen Gesetzentwurf verständigt haben, würden sie auch auf die anderen demokratischen Fraktionen zugehen. Zwar kann eine Reform mit einfacher Mehrheit im Bundestag verabschiedet werden, angestrebt wird bei Wahlrechtsreformen aber immer ein möglichst breiter Konsens – auch wenn die große Koalition zuletzt davon abgewichen ist.
Die Verkleinerung des Parlaments dürfe „nicht wieder auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt werden“, sagte Haßelmann. „Deshalb haben wir uns diesen engen Zeitrahmen gesetzt.“ Ziel sei die Beschlussfassung binnen eines Jahres.
Haßelmann zeigte sich „sehr froh“ über die Festlegung im Koalitionsvertrag. Demnach wollen die Ampel-Parteien „innerhalb des ersten Jahres das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Bundestages zu verhindern“. Der Bundestag müsse effektiv in Richtung der gesetzlichen Regelgröße verkleinert werden. „Eine Verzerrung der Sitzverteilung durch unausgeglichene Überhangmandate lehnen wir ab“, heißt es in dem Vertrag von SPD, Grünen und FDP.
Grundlage für die von der Ampel-Koalition angestrebte Reform sei „das personalisierte Verhältniswahlrecht“, sagte Haßelmann. „Der Grundsatz ‚Jede Stimme muss gleich viel wert sein‘, darf seine Gültigkeit nicht verlieren.“ Das sei bei der Wahlrechtsreform von CDU/CSU und SPD in der vergangenen Legislaturperiode nicht der Fall gewesen; Überhangmandate seien nicht mehr vollständig ausgeglichen worden. „Das muss dringend geändert werden“, betonte Haßelmann.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach den Zweitstimmen zustehen. Um eine Verzerrung des Wahlergebnisses zu vermeiden, bekommen die anderen Parteien dafür Ausgleichsmandate.
Nach Ansicht der Grünen ist die Reduzierung der Wahlkreise das „stabilste und belastbarste Instrument“ für die Verkleinerung des Bundestags. Haßelmann verwies darauf, dass ihre Partei in der vergangenen Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf mit erarbeitet habe. „Aber wir werden jetzt natürlich innerhalb der Ampel gemeinsam ausloten, welche Möglichkeiten zu diesem Ziel führen können.“
Grüne, Linkspartei und FDP hatten 2019 gemeinsam vorgeschlagen, die Zahl der Wahlkreise bereits für die zurückliegende Bundestagswahl auf 250 zu verringern, was die Wahrscheinlichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten erheblich vermindert hätte. Die damalige Opposition setzte sich damit aber nicht durch, stattdessen wurde das von der „GroKo“ vorgelegte Gesetz beschlossen.
In Deutschland gilt das personalisierte Verhältniswahlrecht. Die Hälfte der 598 Abgeordneten wird in 299 Wahlkreisen mit der Erststimme gewählt. Mit der Zweitstimme wird die Landesliste einer Partei gewählt – diese Stimme entscheidet nach dem Prinzip der Verhältniswahl über die Verteilung der Sitze. Auch kleinere Parteien haben so eine Chance auf Einzug ins Parlament.