Das große Telegram-Dilemma

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Einst gepriesen als Kommunikationsmittel der Demokratiebewegungen im Iran und in Belarus, nun im Visier der deutschen Justiz: Der Messenger-Dienst Telegram steht in Deutschland und anderen Ländern als Plattform für Rechtsextreme und radikale Gegner von Corona-Maßnahmen massiv in der Kritik. Über ihn werden Hass und Hetze verbreitet. Doch bisher ist der Staat weitgehend machtlos.

Wer steckt hinter Telegram?

Der russische Unternehmer Pawel Durow gründete Telegram 2013 zusammen mit seinem Bruder. Durow war damals bereits Gründer und Chef des beliebtesten Online-Netzwerks Russlands, VK. Unter Druck der russischen Behörden musste er VK einem Putin-Vertrauten überlassen und verließ seine Heimat. Er arbeitete unter anderem von Berlin und London aus an der Entwicklung der neuen Plattform.

Derzeit befindet sich der Firmensitz der Telegram-App in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Muttergesellschaft auf den britischen Jungferninseln. Geldgeber sind nach Angaben Durows unter anderem Investmentfirmen in den Emiraten, die Finanzierungsstrukturen sind jedoch alles andere als klar.

Was zeichnet Telegram aus?

Seit 2019 gehört der Dienst zu den weltweit beliebtesten Messengern. Nach Unternehmensangaben hatte Telegram zu Beginn des Jahres 2021 rund 500 Millionen aktive Nutzer, aktuelle Schätzungen gehen von rund 550 Millionen aus.

Beliebt macht den Messenger die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der privaten Nachrichten, die eine Überwachung wesentlich erschwert. Außerdem lehnen Durow und sein Unternehmen jede Zusammenarbeit mit Regierungen grundsätzlich ab, etwa wenn es um die Regulierung von Inhalten im Messenger geht.

Auch deshalb wurde Telegram von Oppositionsbewegungen im Iran oder in Belarus zur Organisation von Protesten genutzt. Aber eben auch Dschihadisten, Rechtsextreme und Verschwörungsideologen wie Attila Hildmann nutzen den Dienst für ihre Kommunikation.

Wie kann Telegram reguliert werden?

Die Bundesregierung will mit dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gegen Telegram vorgehen. Es sorgt seit 2017 dafür, dass Online-Netzwerke wie Facebook aktiv gegen strafbare Inhalte auf ihren Plattformen vorgehen müssen. Dienste zur Individual-Kommunikation, wie etwa Whatsapp, fallen allerdings nicht unter diese Regel.

Auch Telegram wurde lange als ein solcher Messenger gesehen, auch wenn Chat-Gruppen bis zu 200.000 Mitglieder umfassen können oder öffentlich einsehbar sind. Im April vergangenen Jahres änderte das Bundesjustizministerium diese Einschätzung und schickte erstmals zwei Bußgeldwarnungen im Sinne des NetzDG an Durow. Nach Angaben des Bundesjustizministeriums von Anfang Januar hat Telegram aber nicht auf die Bescheide reagiert.

Telegram – ein rechtsfreier Raum?

„Innenpolitiker in Deutschland stehen vor einem Telegram-Dilemma, das sie nicht einfach lösen können“, sagt die Leiterin des Digitalbereichs der Amadeu Antonio Stiftung, Simone Rafael. Die einzige Möglichkeit, dem Dienst beizukommen, sei, diesen komplett abzuschalten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schloss dies zuletzt nicht mehr aus. Ein Abschalten wäre allerdings „sehr schwerwiegend und ganz klar ultima ratio“, sagte sie der „Zeit“ vergangene Woche. Deshalb müssten sich zuvor alle anderen Optionen als erfolglos erwiesen haben.

Gibt es weitere Druckmittel?

Nach einem Bericht der „Welt“ will das Bundeskriminalamt (BKA) den Dienst nun mit Löschbitten oder Datenanfragen fluten. Da Telegram aber in diesem Bereich kaum kooperiert, dürfte dies als Druckmittel nicht funktionieren.

Wirksam könnte sein, die App-Stores einzubeziehen, welche die Telegram-App verbreiten, sagt Tobias Keber, Professor für Medienrecht. „Diese Gatekeeper könnten Telegram aus den App-Stores werfen, weil der Dienst Hate Speech eine Plattform bietet, ohne zumutbare Sicherungsmechanismen einzuziehen.“

Darüber hinaus bleibt Experten zufolge dem Staat die konsequente Durchsetzung von Polizeiarbeit im Messenger. So durchsuchte die Polizei Mitte Dezember Objekte von Mitgliedern einer Chatgruppe, die auf Telegram Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) gehegt hatten.

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