Rita Süssmuth: „Lovely Rita“ der Emanzipation – „Lonely Rita“ der CDU

Rita Süssmuth - Bild: Achim Melde/Bundestag
Rita Süssmuth - Bild: Achim Melde/Bundestag

Als sich im Oktober der neue Bundestag konstituierte, durfte Rita Süssmuth an prominenter Stelle Platz nehmen: Süssmuth, die am Donnerstag 85 Jahre alt wird, saß auf der Besuchertribüne des Parlaments direkt neben Angela Merkel, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt der Bundeskanzlerin zum letzten Mal in den Bundestag kam. Als Merkel dort 1990 das erste Mal erschien, war Süssmuth Bundestagspräsidentin – die beiden verloren nie den Kontakt.

Vielleicht hätte Merkel in der CDU an manchen Stellen im Nachhinein mehr Süssmuth wagen sollen, um die im September abgewählte Regierungspartei für Frauen attraktiver zu machen. Denn Süssmuth stand schon früh für feministische Positionen, die sich im Lauf der Jahre durchsetzten. Als „Lovely Rita“ adelte sogar die Feministin Alice Schwarzer Süssmuth. Doch in der Union galt sie manchen despektierlich als Emanze ohne Unterstützung, weshalb sie innerparteilich als „Lonely Rita“ verspottet wurde.

Süssmuth kam am 17. Februar 1937 in Wuppertal zur Welt. Sie machte nach dem Abitur das Staatsexamen im Lehramt, promovierte 1964 in Erziehungswissenschaft und wurde Professorin.

In die Politik kam Süssmuth mit 44 Jahren, da trat sie in die CDU ein. Bereits 1985 wurde sie überraschend neue Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit im Kabinett von CDU-Kanzler Helmut Kohl. In dem 1986 um den Bereich Frauen erweiterten Ressort machte die engagierte Katholikin schnell durch eine liberale Linie in der Frauen- und Abtreibungspolitik von sich reden.

Auch beim Umgang mit der damals gerade aufkommenden Immunschwächekrankheit HIV setzte Süssmuth eigene Akzente: Leidenschaftlich kämpfte sie gegen die Ausgrenzung der Erkrankten. Ihre Prämisse lautete: „Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Infizierten.“ Seit langem ist sie Ehrenvorsitzende der Deutschen Aids-Stiftung.

Doch Süssmuths liberale Haltung in gesellschaftspolitischen Fragen führte bereits nach der Bundestagswahl 1987 zum Bruch mit Teilen der Union. Kohl empfand seine Frauenministerin zunehmend als Störenfried. Weil Süssmuth andererseits viele Sympathien genoss, konnte er sie aber nicht ganz ins Abseits stellen.

Kohl lobte Süssmuth weg – sie wurde 1988 mit 51 Jahren Bundestagspräsidentin und hatte damit plötzlich das zweithöchste Amt im Staat inne. Für Kohl blieb sie aber unbequem, 1989 beteiligte sie sich am erfolglosen Versuch, ihn als CDU-Chef zu stürzen.

Die bis zu seinem Tod 2020 mit dem Universitätsprofessor Hans Süssmuth verheiratete Mutter einer Tochter und fünffache Großmutter ist aber trotz dieses kleinen Aufstands vor allem für ihre engagierte Ausübung des Amts der Bundestagspräsidentin in Erinnerung. Und sie hat entscheidenden Anteil am heutigen Aussehen des Reichstagsgebäudes: Beim Architekten Norman Foster setzte sie den Bau der gläsernen Kuppel durch.

Allerdings sind mit ihrem Namen auch zwei Affären verbunden. 1991 die Dienstwagenaffäre, weil ihr Mann einen Parlamentswagen genutzt haben soll. 1996 der Vorwurf, dass sie die Flugbereitschaft der Bundeswehr für private Besuche ihrer Tochter nutzte. Doch Süssmuth überstand beide Affären, erst nach der Wahlniederlage der Union 1998 räumte sie den Platz.

Das Ende der Ära Kohl läutete auch ihr Ende in der CDU ein, bald verlor sie ihren Platz im Parteipräsidium. Heftige Anwürfe aus den eigenen Reihen brachte Süssmuth ein, dass sie 2000 unter der rot-grünen Bundesregierung von Gerhard Schröder den Vorsitz der nach ihr benannten Süssmuth-Kommission zur Zuwanderung übernahm.

Süssmuth entwickelte Ideen, die womöglich in der Flüchtlingskrise 2015 geholfen hätten, die aber nie vollständig umgesetzt wurden. Verbittert ist sie darüber nicht. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte sie vor einigen Jahren, sie habe sich das Motto von Samuel Beckett zu eigen gemacht: „Scheitern, weitermachen, nochmal scheitern, besser scheitern, weitermachen“.

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