„Roe v. Wade“ – das verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibungen: Ein historisches Grundsatzurteil auf der Kippe

Supreme Court, USA - Bild: KK1902 via Twenty20
Supreme Court, USA - Bild: KK1902 via Twenty20

1973 verankerte der Oberste Gerichtshof der USA mit seinem Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ ein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibungen. Jetzt ist dieses Grundrecht in Gefahr: Der Supreme Court könnte das seit fast 50 Jahren geltende Urteil kippen – es wäre eine historische Zäsur. Ein Vorstoß der Demokratischen Partei, das Abtreibungsrecht mit einem Bundesgesetz zu regeln, dürfte am Mittwoch scheitern.

Die Vorgeschichte von „Roe v. Wade“

Das Urteil ist nach Jane Roe benannt – ein Pseudonym für Norma McCorvey, die anonym bleiben wollte. Die alleinstehende Mutter war 1969 zum dritten Mal schwanger geworden und wollte abtreiben. Im US-Bundesstaat Texas, wo McCorvey lebte, waren damals aber Schwangerschaftsabbrüche verboten; Ausnahmen gab es nur, wenn das Leben der Mutter gefährdet war.

McCorvey zog deswegen 1970 vor Gericht. Konkret verklagten ihre Anwältinnen Linda Coffee und Sarah Weddington den Staatsanwalt von Dallas, Henry Wade. Die Anwältinnen argumentierten, dass das texanische Recht gegen die US-Verfassung verstoße. Der Fall landete schließlich vor dem Supreme Court.

Das Urteil

Nach zwei Anhörungen gab der Supreme Court am 22. Januar 1973 das Urteil „Roe v. Wade“ (für „Roe versus Wade“, „Roe gegen Wade“) bekannt. Mit einer Mehrheit von sieben zu zwei Richtern erklärte der Gerichtshof das texanische Abtreibungsrecht für verfassungswidrig und legalisierte zugleich landesweit Schwangerschaftsabbrüche.

Verfassungsrichter Harry Blackmun, der das Urteil schrieb, begründete die Entscheidung mit einem „Recht auf Privatsphäre“, das er aus der US-Verfassung ableitete. Dieses Recht sei „weit genug gefasst, um die Entscheidung einer Frau zu umfassen, ob sie ihre Schwangerschaft beenden will oder nicht“.

Dieses Recht sei aber „nicht absolut“, sondern unterliege „Beschränkungen“, heißt es in dem Urteil. „An einem gewissen Punkt überwiegt das Interesse des Staates zum Schutz von Gesundheit, medizinischen Standards und ungeborenem Leben.“ Als Richtlinie wurde festgehalten, dass Abtreibungen grundsätzlich so lange erlaubt sind, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre. Das ist etwa nach 24 Schwangerschaftswochen der Fall.

Die Folgen

Die Verfassungsrichter schrieben schon in ihrem Urteil, sie seien sich bewusst, wie „heikel und emotional“ das Thema Abtreibung sei. Es gebe „heftige gegensätzliche Ansichten“ und „tiefgehende und anscheinend absolute Überzeugungen“. Tatsächlich blieb das Abtreibungsrecht in den USA eines der umstrittensten gesellschaftspolitischen Themen. Konservative Politiker und Abtreibungsgegner setzten sich zum Ziel, „Roe v. Wade“ – häufig kurz nur „Roe“ genannt – rückgängig zu machen.

Das Urteil wurde vom Supreme Court aber mehrfach im Grundsatz bestätigt, unter anderem mit dem Urteil „Planned Parenthood v. Casey“ aus dem Jahr 1992. Schon in diesem Jahr wäre „Roe“ beinahe gekippt worden, ein konservativer Verfassungsrichter wechselte aber letztlich die Seite und trug damit zum Erhalt des Grundsatzurteils bei.

Die rechtliche Auseinandersetzung um ein 2018 beschlossenes Abtreibungsgesetz aus dem Bundesstaat Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche verbietet, könnte jetzt das Ende für „Roe“ bedeuten: Es ist dieser Fall, in dem der Supreme Court das fast 50 Jahre alte Grundsatzurteil aufheben könnte.

Das bewegte Leben von Norma McCorvey

McCorvey setzte zwar mit ihrer Klage ein Grundrecht auf Abtreibungen durch – ihr Kind brachte sie aber während des damaligen Rechtsstreits zur Welt und gab es dann zur Adoption frei. Sie machte nach Verkündung des Urteils ihre Identität öffentlich, arbeitete später in einer Abtreibungsklinik und hielt Reden bei Veranstaltungen von Befürworten des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche.

In den 1990er Jahren vollzog sie dann eine spektakuläre Kehrtwende: Sie schloss sich christlichen Gruppen an und trat als Abtreibungsgegnerin auf. Kurz vor ihrem Tod 2017 sagte sie aber in einem Interview, ihr angeblicher Gesinnungswandel habe in Wirklichkeit finanzielle Gründe gehabt – sie sei von Abtreibungsgegnern bezahlt worden: „Ich habe ihr Geld genommen und sie haben mich vor die Kamera gestellt und mir gesagt, was ich sagen soll. Und das habe ich dann gesagt.“

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