Wissenschaftler ist sich sicher: „Könnten zusätzliche 40 Prozent der Patienten vom Tabak entwöhnen“

Zigarettenrauch
Zigarettenrauch

Die Deutschen rauchen zu viel: 35 Prozent der Bevölkerung greift aktuell zum Tabak und verursacht durch Folgekrankheiten mittelfristig steigende Kosten im Gesundheitssystem. Dabei haben 70 Prozent aller Rauchenden den Wunsch aufzuhören. Die meisten schaffen es nicht, weil passende Unterstützungsangebote zur Rauchentwöhnung fehlen – aus Kostengründen.

Bundesregierung muss investieren

„An dieser Stelle muss die Bundesregierung investieren und nicht weiter sparen. Deutschland darf nicht länger eines der europäischen Schlusslichter bei der Tabakentwöhnung sein“, sagt der Präsident der Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG) Wolfram Windisch. „Unsere Methoden sind wissenschaftlich gut untersucht, effektiv und kosteneffizient. So könnten wir etwa zusätzliche 40 Prozent unserer Patienten vom Tabak entwöhnten“, sagt Windisch. „Unterm Strich spart diese Vorsorgemaßnahme dem Gesundheitssystem viel Geld, entlastet die Steuerzahler und kann den ehemals Rauchenden ein Leben mit weniger Beschwerden ermöglichen.“

Konkret richtet sich die Maßnahme an sämtliche Patienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden. Aktuelle Zahlen zeigen, dass rund ein Drittel von ihnen raucht. „Das ist also der beste Moment, um sie von einem funktionierenden Entwöhnungsprogramm zu überzeugen“, sagt Matthias Raspe, Pneumologe an der Charité. „Den größten Erfolg sehen wir bei jenen, die nach der Behandlung in der Klinik noch mindestens einen weiteren Monat an einem ambulanten Tabakentwöhnungsprogramm teilhaben – zum Beispiel in einer Rehabilitationseinrichtung oder durch passende Internet- und Telefonangebot“, sagt Raspe. Die Strukturen für solche Angebote seien ausreichend vorhanden, es fehle am politischen Willen zur Finanzierung: „Das liegt auch an einer sehr starken Tabaklobby in Deutschland, die Einfluss auf die Gesetzgebung ausübt.“

Maßnahme schnellstmöglich anschieben

Die DGP-Experten sehen gute Möglichkeiten, leitliniengerechte Angebote zur Tabakentwöhnung flächendeckend zu implementieren und zu finanzieren. Eine Kostendeckung von Entwöhnungsprogrammen im stationären Bereich wäre im deutschen Vergütungssystem einfach über zwei Wege umsetzbar: Das Bundesministerium für Gesundheit könnte das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) auffordern, ein Zusatzentgelt festzulegen. Dieses gibt es beispielsweise schon im Bereich der mehrdimensionalen pädiatrische Diagnostik bei Verdacht auf Gefährdung von Kindeswohl und Kindergesundheit. „Ein schon bestehender medizinischen Maßnahmenschlüssel für die multimodale stationäre Behandlung zur Tabakentwöhnung sieht seitens der Gesundheitspolitik bislang keine Vergütung vor“, erklärt Stefan Andreas, Chefarzt der Lungenfachklinik Immenhausen, Pneumologische Lehrklinik der Universitätsmedizin Göttingen.

Eine weitere Möglichkeit der Finanzierung wären sogenannte Qualitätsverträge zwischen Kliniken und Krankenversicherungen. Der Gesetzgeber hat diese Vertrags- und Abrechnungsmöglichkeit eingeführt, um eine Verbesserung der Krankenhausversorgung durch passende Anreize zu erreichen. „Weniger Betroffene mit Krebs- und Lungenerkrankungen sowie kardiovaskulären Erkrankungen sollten doch Anreiz genug sein“, sagt Stefan Andreas. So ließe sich beispielsweise auch das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall durch die Tabakentwöhnung signifikant senken. Dass sich diese Entwicklung finanziell lohnen wird, steht für Andreas fest. Er rechnet vor: „Wir gehen am Beispiel einer COPD-Behandlung davon aus, dass sich im Ergebnis die Fallkosten um 10,5 Prozent senken ließen.“

Komplett finanzierte Tabakentwöhnung verbessert Erfolgsrate um 77 Prozent

Für den langfristigen Erfolg eines stationär erzielten Rauchstopps ist die im Idealfall unmittelbare ambulante Nachbetreuung der neuen Ex-Rauchenden entscheidend. Für Betroffene sollte sowohl die stationäre Intervention als auch die ambulante Betreuung nach dem Krankenhausaufenthalt sowie eine eventuell erforderliche Unterstützung durch Medikamente ohne Kosten bleiben. Nachgewiesen ist, dass eine komplette Finanzierung der Tabakentwöhnung die Erfolgsrate um 77 Prozent verbessert.

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