Olaf Scholz und der Fluch der Putinversteher

Olaf Scholz - Bild: Bundesregierung/Kugler
Olaf Scholz - Bild: Bundesregierung/Kugler

Auffällig oft sind es Krisenzeiten, in denen deutschen Wörtern der Einzug in andere Sprachen gelingt. Das Fremdwort „The Blitzkrieg“ wurde im Zweiten Weltkrieg zum Bestandteil des englischen Wortschatzes. „Le Waldsterben“ zählt seit den 80er Jahren zum Vokabular des Französischen. Und nun ganz aktuell: „Putinversteher“. Der deutsche Begriff taucht derzeit regelmäßig mit etwas abfälligem Beiklang in der angelsächsischen Presse auf, um die als nachgiebig empfundene Haltung der Bundesregierung im Konflikt mit Russland zu bezeichnen.

Bei seinem Besuch am Montag in Washington wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Zweifel an der Bündnistreue Deutschlands ausräumen müssen. Es ist Unmut spürbar: Kritiker werfen Scholz eine Art von Leisetreterei gegenüber Moskau vor, die Russlands Präsident Wladimir Putin zu militärischen Abenteuern geradezu ermuntern könnte – Deutschland, das Land der „Putinversteher“.

Dabei geht es um Waffenlieferungen an die Ukraine, die Härte möglicher Sanktionen gegen Russland und auch die Frage, ob ein russischer Einmarsch im Nachbarland ein Aus für die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 bedeuten würde.

Die Außenpolitik-Expertin Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington nimmt „widersprüchliche Töne und Aussagen aus Berlin zur Krise um die Ukraine“ wahr. Diese hätten in den USA „Verwirrung, Enttäuschung und harte Kritik“ hervorgerufen, sagt sie zu AFP.

Stelzenmüller macht dafür auch Scholz verantwortlich: „Die sichtbare Unwilligkeit des Kanzlers, ein Machtwort zu sprechen, hat dazu aber auch beigetragen.“ Die Wissenschaftlerin hält Scholz‘ Besuch am Montag in Washington für „eine Chance, das ramponierte Bild der Koalition geradezurücken“.

Auch eingefleischte Transatlantiker in Berlin stellen besorgt eine Entfremdung im deutsch-amerikanischen Verhältnis unter dem SPD-Kanzler fest. Der CDU-Außenexperte Johann Wadephul berichtet gegenüber AFP von E-Mails, die ihn aus Washington erreichten und die sich „sehr besorgt über die deutsche Außenpolitik zeigen“. Im US-Kongress gebe es „zweifelnde Stimmen über die Verlässlichkeit Deutschlands“, sagt Wadephul.

Die neue Ampel-Koalition tut sich schwer, einen klaren Kurs in der Außenpolitik zu kommunizieren. Es holpert, das räumen auch Koalitionsvertreter ein: „In den USA ist zum Teil der Eindruck entstanden: Die Deutschen haben nicht mehr alle Tassen im Schrank“, sagt die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann AFP. „In den letzten 14 Tagen ist kommunikativ nicht alles ganz rund gelaufen.“

Deutschland hätte zum Beispiel klarer machen sollen, dass es zwar keine schweren Waffen an die Ukraine liefert – dem Land aber in vielen anderen Bereichen helfe. „Scholz sollte in Washington klarmachen: Natürlich ist Deutschland ein verlässlicher Partner“, sagt die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses.

Schützenhilfe erhält Scholz von seinem Parteifreund Michael Roth, der dem Außenausschuss im Bundestag vorsteht. Roth verweist darauf, dass die Kritik an Deutschland in den USA auch innenpolitische Motive haben könne: „Dahinter steht bisweilen auch der Versuch, Bidens konstruktive Haltung gegenüber Deutschland zu diskreditieren“, sagt Roth AFP.

Die oppositionellen Republikaner werfen Präsident Joe Biden unter anderem vor, Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 verhindert zu haben, um die Beziehungen zu Deutschland nicht zu gefährden.

Das Thema dürfte bei Scholz‘ Treffen mit Biden am Montagmittag im Weißen Haus eine wichtige Rolle spielen: Der Ukraine-Konflikt und die Sicherheit Europas zählten zu den Kernthemen der Unterredung, kündigte die Bundesregierung am Freitag an. Sie bestätigte nun auch, dass Scholz die Woche darauf erst nach Kiew und dann nach Moskau reisen wird.

Politik-Expertin Stelzenmüller in Washington glaubt, dass sich die Irritationen ausräumen lassen: „In den Maschinenräumen der Diplomatie auf beiden Seiten des Atlantiks sind die Einschätzungen der Risiken viel näher aneinander als es in der öffentlichen Debatte den Anschein hat.“

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