Faktencheck: Sind fünf Prozent der Corona-Impfstoff-Chargen für alle Impf-Schäden verantwortlich?

Impfstoff in Spritze
Impfstoff in Spritze

Hunderte User haben seit Mitte Januar ein Video auf Facebook geteilt, laut dem fast alle Schadens- und Todesfälle der Corona-Impfungen auf nur fünf Prozent der verwendeten Impf-Chargen zurückzuführen seien. Dies habe eine Auswertung der US-Datenbank Vaers ergeben. Den zuständigen Gesundheitsbehörden ist ein solcher Zusammenhang aber nicht bekannt. Unabhängige Experten wiesen die Behauptungen gegenüber AFP als unbegründet zurück.

Hunderte Nutzerinnen und Nutzer haben im Januar ein Video der Website „Klagemauer TV“ auf Facebook geteilt (hierhierhier). Auf Telegram sahen eine halbe Million Menschen die Behauptungen zur US-Datenbank Vaers (hierhier). AFP wurde zudem über WhatsApp auf das Video aufmerksam gemacht.

Die Falschbehauptungen

Die Website „Klagemauer TV“ kündigt einen „Coronaimpfstoff-Chargen-SKANDAL“ an. Laut Daten aus der US-Gesundheitsdatenbank Vaers seien bestimmte Chargen der Corona-Impfstoffe besonders gefährlich. Anhand der dort hinterlegten Chargennummern sei erkennbar, dass fast alle gemeldeten Schadens- und Todesfälle in den USA von nur fünf Prozent der Impfstoff-Chargen verursacht würden. Außerdem gebe es seit Beginn der Corona-Impfungen in Deutschland überdurchschnittlich viele Impfschadensmeldungen. In Australien hätten Mitarbeiter des Impfstoff-Herstellers Pfizer außerdem andersartige Chargen verabreicht bekommen als der Rest der Bevölkerung.

Facebook-Screenshot der Falschbehauptung: 27.01.2022

Was ist die Vaers-Datenbank?

Das sogenannte Vaers, „Vaccine Adverse Event Reporting System„, ist eine von der US-Gesundheitsbehörde CDC und der Arzneimittelbehörde FDA verwaltete Datenbank für Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen.

Einen ursächlichen Zusammenhang beweisen diese Meldungen aber nicht. Die gemeldeten Daten sind nämlich nicht geprüft. In einem Disclaimer, den User vor einer Datenabfrage auf der Vaers-Website akzeptieren müssen, heißt es: „Die Datenbank […] Vaers enthält Informationen über nicht verifizierte Berichte über unerwünschte Ereignisse […] nach Impfungen mit in den USA zugelassenen Impfstoffen. Berichte werden von jedermann akzeptiert und können elektronisch […] eingereicht werden.“ Und weiter heißt es zur Qualität der Daten: „Die Berichte können Informationen enthalten, die unvollständig, ungenau, zufällig oder nicht überprüfbar sind.“

Was lässt sich über die Impfstoff-Chargen sagen?

In der aktuellen Behauptung heißt es, in der Vaers-Datenbank seien zu den gemeldeten Nebenwirkungen ebenfalls die Kennzeichnungen der zugehörigen Impfstoff-Chargen angegeben. Aus diesen Daten ließe sich herleiten, dass in den USA fünf Prozent der verabreichen Chargen für fast alle Schadens- und Todesfallmeldungen nach Corona-Impfungen verantwortlich seien.

Zu den Behauptungen erklärte CDC-Sprecherin Martha Sharan am 21. Januar gegenüber AFP in einer E-Mail, die CDC und die FDA hätten „kein Sicherheitssignal“ im Zusammenhang mit einer bestimmten Covid-19-Impfstofcharge oder einer Gruppe von Chargen festgestellt.

„VAERS ist darauf ausgelegt, ungewöhnliche oder unerwartete Muster von unerwünschten Ereignissen schnell zu erkennen. VAERS ist nicht dazu da, festzustellen, ob die unerwünschten Ereignisse durch den Impfstoff verursacht wurden“, erklärte sie.

Sollte ein bedenkliches Muster in den Daten erkannt werden, würden laut Sharan detaillierte Untersuchungen mit Hilfe von Analysesystemen wie dem Vaccine Safety Datalink vorgenommen, einem Projekt zur Überwachung und Untersuchung seltener und ernster Impfnebenwirkungen. Solche Analysen könnten dann feststellen, ob ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Impfstoff und Nebenwirkung vorliege.

Auf AFP-Anfrage erklärte am 26. Januar auch Benjamin Neuman, Chef-Virologe am Global Health Research Complex der Texas A&M University in den USA, dass die online verbreitete Behauptung komplett erfunden sei.

„Wenn eine Lüge so leicht zu überprüfen ist wie diese, ist es erstaunlich, dass sie sich überhaupt verbreiten kann. Das ist, als würde man auf den Mond zeigen und jemandem sagen, er existiere nicht – ein kurzer Blick nach oben und die Behauptung entkräftet sich“, erklärte er.

Zur Überprüfung kann jeder und jede mit der Suchfunktion der Vaers-Datenbank nach Impfstoffcharge, sowie nach Covid-19 und Tod als Meldung suchen.

„Es ist wahrscheinlich, dass in einiger Zeit all diese Todesfälle anderen Ursachen zugeordnet werden, aber Untersuchungen brauchen Zeit.“ Die einzigen Chargen, die mehr als zwei Prozent der zu untersuchenden Todesfälle zugeordnet seien, seien entweder unter „unbekannte Charge“ oder „nicht verfügbar“ gelistet, was über ein Drittel aller Fälle ausmache, erklärte Neuman.

Diese Fälle ohne Chargennummer seien demnach Informationslücken, bei welchen zur Meldung keine vollständigen Angaben gemacht worden sind, führte Neuman aus.

Auch Matthew Laurens vom Center for Vaccine Development and Global Health der School of Medicine der Universität Maryland in den USA dementierte die Behauptung am 24. Januar in einer E-Mail an AFP. Die verbreitete Behauptung sei falsch und verdreht. „Covid-19-Impfstoffe retten täglich Leben und die Annahme, es seien tödliche Chargen der Impfstoffe freigegeben worden, ist einfach unbegründet.“

Laurens wies darauf hin, dass unter mehr als 500 Millionen verabreichten Dosen der Covid-19-Impfstoffe in den USA nur bei neun Todesfällen ein bestätigter Zusammenhang zur Impfung bestehe.

Diese neun Fälle werden auch auf der Website der Behörde CDC benannt. Diese seien alle durch eine „seltene aber schwere Nebenwirkung“ ausgelöst worden, bei welcher Blutgerinnsel und geringe Blutplättchen nach Impfung mit Johnson & Johnsons aufgetreten waren. Im Gegensatz dazu sind bis zum 25. Januar mehr als 870.000 US-Bürgerinnen und -Bürger an Covid-19 verstorben.

AFP befragte zudem das in Deutschland für die Überwachung der Corona-Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Eine Sprecherin des PEI erklärte in einer E-Mail am 21. Januar zu den Vaers-Daten:

„Da kann jede/r nach Lust und Laune eintragen, was er/sie will – da gibt es keine Plausibilitätsprüfung und Bereinigung.“

Wie behandelt das Paul-Ehrlich-Institut Daten zu Impfstoff-Chargen?

AFP erfragte beim PEI ebenfalls, ob in Deutschland die Chargennummern veröffentlicht werden. Die Sprecherin des Instituts erklärte: „Da würden sich sämtliche Impfpassfälscher sehr freuen, wenn so eine Zuordnung (sprich also, die entsprechenden Chargenbezeichnungen) veröffentlicht würden. Da müssen sie ja nur noch aus den Veröffentlichungen abschreiben.“

Das PEI erklärte aber weiter, dass chargenbezogene Probleme bei den Impfstoffen durchaus auffallen würden. Dann würde dem auch nachgegangen. „Aber bisher ist das tatsächlich nicht der Fall.“ Eine Freigabe von Impfstoff-Chargen dürfe in Deutschland ohnehin nur erfolgen, sofern die Charge vorab vom PEI geprüft und freigegeben wurde, heißt es auf der Website des Instituts.

Sowohl bei der Prüfung der mRNA-Impfstoffe wie auch von Vektor-Impfstoffen werde dann die Qualität des Impfstoffes auf zahlreiche Merkmale hin untersucht.

Mehr Todesfälle nach Corona-Impfungen als nach anderen Impfstoffen?

In dem auf Facebook verbreiteten Video heißt es weiter, dem PEI seien bis zum 30. September vergangenen Jahres 1802 Todesfälle nach Corona-Impfungen gemeldet worden. Diese seien 24.000 Prozent mehr gegenüber den durchschnittlichen Impfschadensmeldungen aller Impfungen vor dem Start der Corona-Impfungen.

Tatsächlich finden sich in einem Sicherheitsbericht des PEI für den Meldezeitraum bis zum 30. September 2021 diese Angaben der gemeldeten Todesfällen wieder. Dort heißt es: „In 1802 Verdachtsfallmeldungen wurde über einen tödlichen Ausgang in unterschiedlichem zeitlichem Abstand zur Impfung berichtet.“

Das Institut weist aber im Bericht darauf hin, dass alle Meldungen, die es erhält, unabhängig vom ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung zusammengefasst würden. Dabei handelt es sich um reine Verdachtsfälle. „Dies bedeutet, dass auch Meldungen in rein zeitlichem und nicht notwendigerweise ursächlichem Zusammenhang mit der Impfung bedeutsam sind.“

Die zu den Verdachtsfällen angestellten Rechnungen aus dem Video belegen zudem keine höhere Gefahr durch die Covid-19-Impfungen, wie AFP bereits in diesem Faktencheck erläuterte.

AFP hatte zu der Häufung der Meldungen von Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen im November 2021 die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befragt. Am 29. November erklärte eine Sprecherin in einer E-Mail, der massenhafte Einsatz der Corona-Impfstoffe sei ein Faktor für die vielen gemeldeten Nebenwirkungen: „Die Zahl der Berichte über Nebenwirkungen sollte im Verhältnis zur Gesamtmenge der verwendeten Impfstoffe betrachtet werden. Da wir uns in einer Pandemie befinden, ist das Volumen der Verwendung von Covid-19-Impfstoffen um ein Vielfaches höher als bei Routineimpfungen mit anderen Impfstoffen.“

Die Sprecherin erklärte schließlich:

„Es gibt definitiv nicht mehr Nebenwirkungen bei Covid-19-Impfstoffen.“

Es gebe keinen Beweis dafür, dass die Covid-19-Impfstoffe gefährlicher seien als alle anderen Impfungen. „Tatsächlich haben die Covid-19-Impfstoffe durchweg einen positiven Nutzen bei der Verhinderung von Todesfällen und der Verringerung von Krankenhausaufenthalten gezeigt.“

Ein Vergleich mit Einträgen aus der Datenbank mit Verdachtsfällen von Impfkomplikationen des PEI ab dem 1. Januar 2000 ist zudem nicht aussagekräftig. Die Einträge dort zeigen nicht tatsächliche Nebenwirkungen, sondern Meldungen mit Verdachtsfällen von Nebenwirkungen.

Erhalten Pfizer-Beschäftigte in Australien gesonderte Impffstoffchargen?

Zuletzt verweist das Video auf die Vergabe von Impfstoffchargen in Australien. Demnach würden Beschäftigte von Pfizer und deren Familien andersartige Chargen im Rahmen des sogenannten „Pfizer Australia employee vaccination program“ verabreicht bekommen als die allgemeine Bevölkerung. Dies gehe aus den Daten der australischen Regulierungsbehörder für Arzneimitel, der Therapeutic Goods Administration (TGA), hervor.

Das Programm für Pfizer-Angestellte gibt es tatsächlich. In dieser archivierten Liste der Chargen vom 10. August 2021 heißt es allerdings, diese seien „nicht getestet“.

Die dort verwendeten Impfstoffe sind aber die gleichen wie jene, die die australische Bevölkerung erhielt. Auf AFP-Anfrage erklärte ein Sprecher der TGA am 7. Februar: „Die Chargen, die im Rahmen des australischen Impfprogramms für Pfizer-Mitarbeiter verwendet wurden, unterscheiden sich nicht von den anderen gelieferten Impfstoffchargen und den Chargen, die für die allgemeine Bevölkerung in Australien verwendet wurden.“

Zudem seien einige Chargen aus dem Pfizer-Programm auch in der allgemeinen Bevölkerung verwendet worden. Weiter erklärte der Sprecher: „Alle Chargen des Corona-Impfstoffs von Pfizer, einschließlich derjenigen, die im Rahmen des Impfprogramms für Mitarbeiter von Pfizer Australien geliefert werden, müssen gemäß den von der TGA bewerteten und genehmigten, nach guter Herstellungspraxis zertifizierten Produktionsweisen hergestellt werden.“

Auf der aktuellen Liste der TGA steht mittlerweile außerdem ein Zusatz zu den Mitarbeiter-Chargen. Sie sind jetzt als „OCABR Reviewed“ markiert. Hierbei handelt es sich um einen gesonderten Prozess, bei welchem Impfstoff-Chargen in der EU von Prüfbehörden im OCABR-Netzwerk, wie zum Beispiel dem Paul-Ehrlich-Institut, geprüft und zertifiziert werden. Ein Sprecher der TGA bestätigte, dass die Lieferungen für das Pfizer-Programm zusätzlich von der europäischen OCABR geprüft worden sei. Auch Länder außerhalb Europas nutzen die Zertifikate aus Europa zur Impfstoff-Prüfung, erläutert das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) auf seiner Website:

Den Zusatz auf der TGA-Liste erklärte der TGA-Sprecher: Auf der Webseite sei der Prüfprozess ausführlicher beschrieben worden, um „die fälschliche Annahme zu vermeiden, dass keine Chargenprüfung durchlaufen wurde“. Der Status der Chargen habe sich aber nicht verändert.

Die Prüfung müsse nicht zwingend durch die TGA erfolgen, wenn ein vertrauenswürdiges Labor im Ausland die Charge bereits geprüft hat.Laut dem TGA-Sprecher gab es bei der OCABR-Überprüfung keine Probleme. Bei erfolgreicher OCABR Testung können die Impfstoff-Chargen ebenfalls in Australien verwendet werden.

Für die behaupteten Unterschiede in den Impfchargen gibt es keine Hinweise. Auch „Klagemauer TV“ reagierte nicht auf eine AFP-Anfrage vom 9. Februar nach Belegen für die Behauptung.

Fazit

Aus den Daten der US-Datenbank Vaers geht nicht hervor, dass fünf Prozent der Impfstoffchargen für fast alle Schadens- und Todesfälle verantwortlich sind. Viele der dort gelisteten Chargen werden keiner konkreten Nummer zugeordnet. Die Zahl der Berichte über Nebenwirkungen sollte zudem im Verhältnis zur Gesamtmenge der verwendeten Impfstoffe betrachtet werden. Auch die in Australien verabreichten Impfstoff-Chargen aus dem Pfizer-Programm unterscheiden sich in ihrer Qualität nicht von anderen vor Ort angewendeten Chargen.

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