Deutschland könnte nach Expertensicht bis zu 50 Prozent russisches Gas ersetzen

Symbolbild: Gasflamme
Symbolbild: Gasflamme

Auch knapp einen Monat nach dem russischen Angriff auf die Ukraine versorgen Energieexporte den Kreml weiterhin mit Geld. Ein Importstopp für Erdgas würde der russischen Wirtschaft wohl empfindlichen Schaden zufügen. In Deutschland wäre ein solches Embargo ebenfalls mit schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft und private Haushalte verbunden.

Wie viel russisches Erdgas kann kurzfristig ersetzt werden?

Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ließen sich im Falle eines Abbruchs der russischen Gaslieferungen rund 50 Prozent davon kurzfristig ersetzen oder einsparen. Dies entspricht in etwa 20 Prozent des jährlichen Gasbedarfs in Deutschland. Aufgrund höherer Gaslieferungen aus anderen Ländern ist der Anteil von russischem Erdgas an den deutschen Gasimporten in den Monaten Januar bis März 2022 demnach von rund 55 Prozent auf rund 40 Prozent abgesunken.

Laut BDEW liegt das Sparpotenzial bei privaten Haushalten bei 15 Prozent des Gasbedarfs, im Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen bei zehn Prozent, die Industrie könnte weitere acht Prozent beitragen. Das größte Sparpotenzial gibt es demnach bei der Stromversorgung – hier könnten 36 Prozent des Gasverbrauchs eingespart werden.

Die Wissenschaftler des Instituts für techno-ökonomische Systemanalyse am Forschungszentrum Jülich kommen in einer aktuellen Analyse zu dem Schluss, dass kurzfristig lediglich etwa ein Drittel der russischen Gasimporte ersetzt werden könnte. Notwendig dafür seien Maßnahmen wie die Absenkung der Raumtemperatur in privaten Haushalten und im Handel um ein bis zwei Grad Celsius. Zudem müsse vermehrt Strom aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden; in Kraftwerken müsste Gas in einigen Fällen auch mit Kohle ersetzt werden.

Welche Auswirkungen hätte ein Importstopp in Deutschland?

Ein Embargo gehe „mit erheblichen Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft“ einher, erklärt BDEW-Chefin Kerstin Andreae. Neben den Energiesparmaßahmen im wirtschaftlichen und im privaten Bereich würde auch das von der Bundesregierung in Gesetzesform gegossene Ziel, die Gasspeicher im Sommer ausreichend zu befüllen, in Frage gestellt.

Insbesondere die Industrie würde bei einem Importstopp laut BDEW hart getroffen: Das Einsparpotenzial ist vergleichsweise gering, zudem werden private Haushalte und soziale Einrichtungen bei Lieferengpässen zuerst beliefert. Die Industrie nutzt Gas auch als Vorprodukt, beispielsweise in der chemischen Produktion – hier ist ein Ersatz deutlich schwieriger.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ deshalb vor einem „Dominoeffekt“ – ganze Lieferketten könnten reißen, Produktionsprozesse zum Stillstand kommen. Einige Menschen würden dann gar kein Geld mehr verdienen – „und diese einigen Leute sind eben sehr, sehr viele“.

Welche Folgen hätte ein Embargo für das Wirtschaftswachstum?

Insgesamt würde ein Stopp aller russischen Energieimporte – also von Gas, Öl und Kohle – laut Berechnungen von Forschern der Universitäten in Köln und in Bonn zu einem Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,5 bis drei Prozent führen. Ein Importstopp von Gas führt demnach zu einem Rückgang von „deutlich unter einem Prozent“ pro Jahr. Gelingt es nicht, russisches Gas außerhalb der Stromerzeugung zu ersetzen, könnten die Kosten eines Gasembargos demnach auf zwei bis 2,5 Prozent des BIP ansteigen. Hinzu komme ein „starker Anstieg der Energiepreise für Haushalte und Industrie“.

Wie lässt sich russisches Gas langfristig ersetzen?

Laut IW gehen knapp 25 Prozent der russischen Gasexporte nach Deutschland – ein Embargo wäre also ein scharfes Schwert gegen die Führung in Moskau. Möglich wäre dies laut Forschungszentrum Jülich jedoch nur bei einem deutlichen Rückgang der Gasnachfrage und zusätzlichen Importen von LNG, also verflüssigtem Erdgas. Nötig sei hier eine gesamteuropäische Beschaffungsstrategie mit langfristigen Verträgen, um eine höhere Auslastung der europäischen LNG-Terminals zu erreichen.

Mittel- bis langfristig müsse Deutschland eigene LNG-Terminals aufbauen – diese müssen auch für die Nutzung von grünem Wasserstoff zur Verfügung stehen. BDEW und die Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich sind sich einig: Langfristig führt nur der Umstieg auf erneuerbare Energien aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland.

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