Mit ungewöhnlich scharfer Kritik am Zustand der Bundeswehr hat Heeresinspekteur Alfons Mais am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine für Aufsehen gesorgt. Die Bundeswehr stehe nach Jahren der Sparpolitik „mehr oder weniger blank da“ und habe nur begrenzte Optionen gegenüber Russland, schrieb der Generalleutnant am Donnerstag im Netzwerk Linkedin. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wies Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Bundeswehr in der Krise zurück.
Dass ein ranghoher Soldat derart offen seine Kritik ausdrückt, ist ungewöhnlich. Mais schrieb: „Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.“ Er warnte: „Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert.“
Lambrecht betonte dagegen, Deutschland werde in der aktuellen Situation „jede Anfrage“ der östlichen Nato-Verbündeten erfüllen. Nach der bereits erfolgten Verstärkung in Litauen habe sie auch angewiesen, die deutsche Unterstützung bei der Luftraumüberwachung in Rumänien auszuweiten, sagte sie. „Es wird weiteres folgen“, kündigte die Ministerin nach einer Sitzung des Verteidigungsausschusses im Bundestag an. „Und wir sind dabei, alles vorzubereiten.“
Auf eine Frage nach der Kritik von Mais sagte Lambrecht: „Ich kann nur jedem raten, der Verantwortung trägt, alle Kraft momentan darauf zu verwenden, diese Herausforderungen zu erfüllen. Das ist das Gebot der Stunde.“
Mais zeigte sich seinerseits auch persönlich empört. „Wir haben es alle kommen sehen und waren nicht in der Lage, mit unseren Argumenten durchzudringen, die Folgerungen aus der Krim-Annexion zu ziehen und umzusetzen“, schrieb er. „Das fühlt sich nicht gut an! Ich bin angefressen!“
Mais forderte eine Neuaufstellung der Bundeswehr: „Sonst werden wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag und unsere Bündnisverpflichtungen nicht mit Aussicht auf Erfolg umsetzen können.“
Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sagte in Berlin: „Ich kann den General gut verstehen.“ Die Äußerungen von Mais seien offenbar „aus tiefem Frust heraus“ erfolgt. Sie teile die Kritik, dass die Bundeswehr lange Zeit unterfinanziert gewesen sei. Die große Koalition habe „nichts unternommen, um die Bundeswehr zu stärken“.
Die Bundestags-Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) äußerte vor dem Hintergrund des russischen Überfalls Zweifel an der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. „Die Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr ist nicht so, wie sie sein müsste“, sagte Högl dem Sender Phoenix.
„Jetzt muss knallhart priorisiert werden“, forderte die Wehrbeauftragte. Bei der Ausbildung müssten die Sicherung der Grenzen des Nato-Bündnisses und auch der deutschen Grenzen in den Vordergrund zu rücken. „Perspektivisch wird es wahrscheinlich darum gehen: Weniger Auslandseinsätze mit weniger Kräften, dafür eine Verstärkung für die Bündnis- und Landesverteidigung.“
Die frühere Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte sich zutiefst getroffen durch die militärische Eskalation im Ukraine-Konflikt. „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben“, schrieb die ehemalige CDU-Chefin auf Twitter. „Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet (…), was Putin wirklich abgeschreckt hätte.“